
© Andreas Klaer
Kultur: In der Mauerfalle
Die Villa Schöningen zeigt eine mehrteilige Installation von Andreas Slominski
Stand:
Noch liegt die Mauer auf dem Boden, wie eine zu groß geratene Falle. Scharniere finden sich an der Seite des Metallrahmens, der die Backsteine einfasst. „Wir mauern von außen nach innen“, erklärt Stefan Unkelbach. Er ist einer der Maurer, die für den Hamburger Objektkünstler Andreas Slominski in der Villa Schöningen gegenwärtig eine Skulpturengruppe mit dem Titel „Walls“ errichten. Die Mauer ist zweieinhalb Meter hoch, vier Meter breit, sie wiegt knapp zwei Tonnen und ist aus „gelben Ziegeln, dänischer Wasseranstrich“ zusammengefügt. Die Steine laufen an den Außenflächen des Rahmens entlang, zur Mitte zu. Wenn das Objekt fertiggestellt ist, wird es dank der Scharniere in die Höhe geklappt und die Mauer steht.
Slominski sei ein „Verkomplizierungskünstler“, lassen die Handwerker verlauten. Ina Grätz, Mitarbeiterin des Museums, weiß es etwas genauer: „Das Rätselhafte spielt im Werk Slominskis eine große Rolle. Hier, an der ehemaligen Schnittstelle zwischen Ost und West, schiebt sich natürlich auch die Geschichte ins Blickfeld.“ Nicht zufällig habe sich der Künstler entschlossen, im Garten der Villa Mauerstücke errichten zu lassen, vermutet Grätz. Genau könne sie das aber auch nicht sagen, denn Slominski sei nicht besonders auskunftsfreudig, was die Deutung seiner Werke angehe.
Aber auch ohne eine Erklärung Slominskis sprechen die Skulpturen, deren Entstehungsprozess ab morgigen Sonntag von den Besuchern verfolgt werden kann, eine deutliche Sprache. Errichtet in einer gemeinsamen Aktion des Künstlers mit der Villa Schöningen und der Roland Schulze Baudenkmalpflege GmbH sind sie eine Hommage an das Maurerhandwerk und ein raffinierter Fingerzeig auf die Schwierigkeiten der deutschen Teilung und Wiedervereinigung. Aus sechs einzelnen Elementen besteht das Gesamtkunstwerk. Einige davon werden bald fertiggestellt sein. Andere harren noch ihrer Ausführung oder werden als Provisorium installiert. Die weißen Steine der Mauer, die von „oben nach unten gemauert“ wird, hängen derzeit noch an Schnüren über dem Stahlträger, von dem aus die erste Mauerreihe in die Tiefe gemauert worden ist. Ein Gerüst fasst die Baustelle ein. Das Konstruktionsprinzip sei dem Mauern von Deckengewölben entlehnt, erklärt Grätz. Der Träger werde nach der Fertigstellung entfernt, das Gerüst allerdings nicht. Wann die Skulptur fertiggestellt sein wird, weiß bisher noch niemand. Anscheinend ist es schwierig, zu bestimmen, wann eine tragende Wand fest auf dem Boden steht, wenn der Bauprozess nicht aus dem Boden wächst, sondern von oben verordnet wird. Was vermutlich auch als Allegorie auf die Schwierigkeiten der Wiedervereinigung gelesen werden kann.
Auch in dem einzigen Stück Mauer, das bereits auf konventionelle Weise grau und stabil im Garten steht, kann unschwer ein Bezug auf die Geschichte des Ortes, die von dem nahen Grenzübergang geprägt ist, gelesen werden. Aber es gibt auch eine „Mauer auf den Kopf gestellt“. An zwei Kugellagern aufgehängt trägt wiederum ein Metallrahmen das Objekt. Holzkeile halten den Rahmen fest. Anderenfalls würde schon ein Windstoß das immerhin 1,6 Tonnen schwere Objekt bewegen, erklärt ein Mitarbeiter, was für die Güte der Kugellager spricht. Mit dem mehrteiligen Werk zeigt Slominski am Beispiel eines an sich simplen Objektes, wie vielgestaltig einfache Prozesse und Dinge werden, wenn sie sich aus ungewohnter Perspektive darbieten.
Die Irritation des Betrachters durch die nuancierte Verschiebung und Verwandlung alltäglicher Gegenstände ist ein Markenzeichen des 1959 in Meppen geborenen Künstlers. Gelegentlich schwingt ein hintergründiger Witz mit. Bekannt wurde der heutige Hamburger Professor mit „Fallen“: Objekten, Dingen, die auf den ersten Blick recht gewöhnlich erscheinen, dann aber eine „Falle“ für die übliche Wahrnehmung darstellen. 1994 postierte er ein Fahrrad so über und über vollgepackt mit Plastiktüten in einem Ausstellungsraum, dass es zunächst wie ein „reales Obdachlosenrad“ erschien. Die Besucher wunderten sich über das sonderbare Stück im „White Cube“, bis sie erkannten, dass hier unversehens ein soziales Symbolobjekt in den Ausstellungsraum drang. Die „Wühlmausfalle“ aus dem Jahre 1984/1985 balanciert auf staksigen Metallbeinen und erinnert, als absurdes Objekt zum Ergreifen unterirdisch agierender Nagetiere, wohl nicht von ungefähr an den Flaschentrockner Marcel Duchamps.
Eher zufällig entstanden ist dagegen die Skulptur, an deren Stelle „Mauer 4 / Pfeiler gemauert nach Archimedes“ im Garten der Villa entstehen soll. Zwei innig ineinander verkantete Gartenstühle bespielen derzeit noch den Platz des künftigen Kunstwerkes. Die Pfeilerskulptur soll mithilfe der archimedischen Hebelwirkung errichtet werden. Sie wird die beiden hübsch miteinander verklemmten Gartenmöbel wohl wieder auseinanderreißen.
Ab morgigen Sonntag bis zum 1. Oktober im Skulpturengarten der Villa Schöningen, dienstags bis freitags 11-18 Uhr, samstags und sonntags 10-18 Uhr
Richard Rabenmsaat
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