zum Hauptinhalt

Kultur: In haltlosen Zeiten

Im Hans Otto Theater kommen mit „Meine Schwester die Mönchsrobbe“ und „Die Komödie der Verführung“ zwei Stücke zur Premiere, die den Menschen in Umbruchzeiten zeigen

Stand:

Auf den ersten Blick ist es eine dieser üblichen Coming-of-Age-Geschichten. Sie wird erzählt aus der Sicht eines Jungspundes mit unerhört großer Klappe, dessen Mutter mit einem Jüngeren durchgebrannt ist und dessen arbeitsloser Vater ausgiebig dem Alkohol zuspricht und seinen Sohn am liebsten mit der Faust auf die Härten des Lebens vorbereitet. Und dann ist da noch die Schwester, die in diesen familiären Wirren die Flucht in die Gläubigkeit antritt und so versucht, ihren Frieden zu finden. Von ihrem Bruder wird sie nur verächtlich „die Mönchsrobbe“ genannt. Am Ende sorgt dann die Ahnung von Liebe und ein tragischer Vorfall in der Familie für Läuterung des 17-jährigen Möchtegerngroß. Soweit so typisch.

Für Sascha Hawemann aber ist diese Geschichte gar nicht so typisch. Für ihn ist „Meine Schwester die Mönchsrobbe“, die er am morgigen Donnerstag in der Reithalle zur Premiere bringt, „sehr italienisch“, wie er sagt. „Sie ist komödiantisch, charmant, amüsant und vor allem auch politisch.“ Geschrieben hat „Meine Schwester die Mönchsrobbe“ der in Turin geborene und lebende Christian Frascella. Vor zwei Jahren ist der Roman auf Deutsch erschienen und war im vergangenen Jahr für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Entdeckt hat Sascha Hawemann, der zuletzt am Hans Otto Theater das Buch „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf auf die Bühne brachte, den Roman von Frascella im vergangenen Sommer. „Nach ,Tschick’ war ich auf der Suche nach einer neuen Geschichte“, so Hawemann. Er wollte an die Geschichte der Jugendlichen in „Tschick“ anknüpfen, die in der Nachwendezeit spielt. „Mit Frascellas Roman gehe ich ein Stück zurück, zum Zeitpunkt der Wende.“ In dieser Umbruchsphase von 1989 und 1990 spielt „Meine Schwester die Mönchsrobbe“, versucht der namenlose Icherzähler in einem der trostlosen Vororte von Turin seinen Weg zu finden und dabei die seltene Gabe besitzt, selbst Niederlagen zu persönlichen Siegen umzudeuten. Schlagfertig ist dieser Kerl und unübertroffen amüsant in seinem pubertären Machogehabe. „Ein unverbesserlicher Großkotz in der Tradition des Arlecchino“, wie Sascha Hawemann ihn liebevoll nennt.

Als er den Roman für die Bühnenfassung bearbeitete, erkannte Hawemann, wie stark Christian Frascella seine Figuren an den typischen Figuren der Commedia dell’arte, der italienischen Volkskomödie des 16. bis 18. Jahrhunderts, orientiert hat. „Der Icherzähler, der wie Arlecchino, also Harlekin, immer mehr weiß als die anderen und trotzdem immer verliert. Oder der Industrielle, der an Pantalone erinnert.“ Und dann die 19-jährige Chiara, in die sich der Icherzähler verliebt und die mit ihrer Selbstsicherheit ganz Colombina ist. Auch wenn Sascha Hawemann es so nicht sagt, aber der Roman „Meine Schwester die Mönchsrobbe“ scheint förmlich darauf gewartet zu haben, dass er für die Theaterbühne bearbeitet wird. Hawemann interessiert an dieser Geschichte vor allem der politische Hintergrund, wie sich hier tiefgreifend die Veränderungen in den Familien niederschlagen. Diese Umbruchszeit, der Niedergang des Sozialismus, diese Phase der Euphorie und gleichzeitigen Unsicherheit. Wer bei Frascella genau hinschaut, erkennt, wie stark diese Veränderungen die Menschen erschüttern. Der arbeitslose Vater, der sich nicht mehr gebraucht fühlt und sich in Alkohol und Zynismus flüchtet. Die Schwester, die sich in diesen unsicheren Zeiten auf den katholischen Glauben zurückzieht, hier regelrecht ins Extreme verfällt, weil sie glaubt, hier den Halt wiederzufinden, der in der zerfallenden Welt um sie herum verloren ging.

Auch Arthur Schnitzler lässt seine „Komödie der Verführung“ in einer Umbruchszeit spielen, in der die Menschen den Boden unter den Füßen verlieren. Tobias Wellemeyer, Regisseur und Intendant am Hans Otto Theater, bringt Schnitzlers Komödie am Freitag zur Premiere. Hier wird gefeiert auf dem Maskenfest des Prinzen Arduin. Wir schreiben den Mai 1914. Nur wenige Tage noch und der Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand, und seine Gemahlin Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg, werden am 28. Juni beim Attentat von Sarajevo ums Leben kommen. Der große Krieg, der dann fast schon zwangsläufig folgen wird, liegt aber schon längst in der Luft. Fast scheint es, als ob die Menschen nur noch darauf warten. „Ein Krieg würde zweifellos reinigend wirken ein wahrer Jungbrunnen für die Menschheit“, so reden die herrschaftlichen Gäste auf dem Maskenfest des Prinzen. Der große Dramatiker Arthur Schnitzler spiegelt den bevorstehenden Umbruch, das kommende Unheil und die damit verbundenen Unsicherheiten in seinen Figuren wider. Sie lässt er zwischen Lust und Liebe lavieren, als sei das Dasein nur ein kurzer Rausch. Oder als ob das Leben mit Blick auf das unvermeidbar Kommende, auf die menschliche Tragödie Krieg nur im Rausch kurzzeitig zu genießen ist. Wer will da schon noch Verantwortung übernehmen?

Max von Reisenberg, Sohn eines Industriellen und Kadettfeldwebel, scheint dies nicht zu wollen. Obwohl alle Vorzeichen auf die todbringende Katastrophe deuten, gibt sich der 24-jährige Lebemann den Lüsten hin. Mit Aurelie, Seraphine und Judith verbringt er jeweils eine Nacht in der Hoffnung etwas zu finden, das ihm vielleicht Antwort gibt auf das große Rätsel Leben, das noch größer zu werden scheint in Zeiten, in denen vor allem die Haltlosigkeit regiert.

Mit „Meine Schwester die Mönchsrobbe“ und „Komödie der Verführung“ kommen im Hans Otto Theater zwei Inszenierungen zur Aufführung, die den Abgrund Mensch in solchen haltlosen Zeiten durchleuchten. Mit Sicherheit keine einfache Kost. Aber auf jeden Fall bereichernd.

Premiere von „Meine Schwester die Mönchsrobbe“ am morgigen Donnerstag, 19.30 Uhr, in der Reithalle, Premiere von „Komödie der Verführung“ am Freitag, dem 6. Juni, um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater, jeweils in der Schiffbauergasse

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })