Kultur: In Klippschul-Manier Potsdams Geschichtssalon: Luther hat die Bibel geschrieben!
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Von Gerold Paul Am Samstag im Café Heider hat man die Helden der Neuzeit erlebt, schneidige, kluge Menschen, welche sich anschicken, das von Kopernikus, Bruno und anderen wider die Kirche gefundene Weltbild zu kippen, um das ihrige zu etablieren. Der Schriftsteller Uwe Topper, ein Potsdamer Mathematiker namens Eugen Gabowitsch und der Berliner Arabist Helmut Voigt, allesamt keine gelernten Historiker, traten zur 4. Potsdamer Sitzung des „Geschichtssalon" zusammen, wie es ihn in Berlin und Karlsruhe seit längerem gibt. Sich auf den russischen Mathematiker Fomenko berufend, auf Eugen Marx, Heribert Illig, Gunnar Heinsohn, Marosow und wie sie alle heißen, setzt sich diese intellektuelle Außenseiter-Elite das Ziel, alles neu und anders zu machen, weshalb endlos Bücher geschrieben und Vorträge gehalten werden. Eigentlich ein interner Kreis, die 30 Zuhörer wurden von Wortführer Gabowitsch in Klippschul-Manier gleich anfangs wie Statisten behandelt: Die Argumente der Gegner mag er hier nicht hören, man solle sich mit Namen melden, wenn man etwas fragt!, und sich gefälligst in die Anwesenheitsliste eintragen! Raue Sitten bei der Salon-Avantgarde, welche ihre selbstgeschriebenen Bücher allen bestens empfahl. Wer trotzdem anders denke, sei „hier falsch.“ Wegtreten! Dass diese Herren Geschichts-Kritiker nun auch alles besser wussten, versteht sich von selbst. Genügten Heribert Illig in seinem Buch „Das erfundene Mittelalter“ 297 überzählige Jahre, um Antike und Neuzeit zusammenzukleben (indem er die Merowinger- und Karolingerzeit als gefälscht vom Zeitstrahl tilgte), so gehen die Helden der Neuzeit radikaler vor: Erst mit der Erfindung des Buchdrucks beginne überhaupt die Geschichte, mit der Renaissance. Alles was vorher war, gab es überhaupt nicht, weder Babylon noch Gizeh, weder die griechische Antike noch das Römische Reich, das Mittelalter so wenig wie materiellen Grundlagen der jüdisch-christliche Religion. Vor Gutenberg/Mainz waren nur Märchen, Romane, „das goldene Erbe unserer Kultur“, wie Gabowitsch sich auszudrücken pflegte. Diese Ansicht nun wurde mit größtem Eifer bedient. Allerdings kam man dabei nicht umhin, sich auf derart erfundene Größen zu berufen, etwa: Jesus sei nur durch Verknüpfung mit dem Cäsar-Kult möglich geworden, die Bibel habe Luther geschrieben (toll, so musste er sie nicht erst ins Deutsche übersetzen), alles andere, von Homers Epen bis zur ersten Drucklegung 1455: rückwirkend gefälscht, erstunken, erlogen. Dante etwa muss entweder um 1500 gelebt haben, oder es war diese dunkle Bande um Erasmus, Hutten, Luther, Zwingli und Co., welche sich die „Göttliche Komödie“, und alles sonst, ausdachten. Auch wenn es Jesus nie gab, so müsse das Jahr Null christlicher Zeitrechnung um 1000 u. Z. gelegen haben. Kurz und knapp: Die Menschengeschichte war gar nicht lang. So ganz einig wurde man nicht. Während Helmut Voigt in einem tolldreisten Vortrag das gar nicht vorhandene Weströmische Reich bis zum Jahre 1100 führte und auch sonst die hübschesten Erklärungen fand, das Entstehen der Neuzeit aus dem Übergang der Gentilordnung in die militärisch organisierte Gesellschaft der jüngeren Geschichte zu beweisen (was ihm den Wechsel von Polytheismus in den Monotheismus plötzlich erhellte und bei den Seinen viel Zuspruch fand), in den Mönchen des 1. Jahrtausends vagabundierende Römer (mit Romanik und Gotik im Gepäck) erblickte, das Entstehen der Städte erklärte wie keiner vor ihm, ging Uwe Topper schneidigen Tones vor. Es sei seine Aufgabe nicht, das Buch von der „Zeitfälschung" vorzustellen, zumal ihm das (erstaunlich duldsame) Publikum ohnehin kaum präpariert schien, seinen hohen Gedanken zu folgen. Zu dumm. Wer ihn nicht verstehe, sei halt fehl am Platze. Nehmen wir“s so. Was er vortrug, bedarf der Erwähnung kaum: Wo er recht hat, glaubt man ihm nicht, wo er dräut, hat er nicht recht. Tacitus und Cäsar (s.o.) gab es nie, die Qmran-Texte seien frühestens im 11. nachchristlichen Jahrhundert entstanden, die Römer waren keine „echten“ Römer, sondern irgendwelche Kelten, und alles habe man diesen perfiden Schurken aus der Renaissance zu verdanken, Erasmus und Luther zuerst, die im 11. Jahrhundert zu leben wähnten. Der Mann hat vermutlich eine Fälschungs-Neurose. „Geschichtslose Zeiten''“ (5. bis 8. Jahrhundert n. Ch.), wie sie Walter Benjamin reflektiert, sind ihm ein Greuel. Heute sei alles „relativ geworden“, trompetete Topper, das alte Weltbild gehöre der Vergangenheit an. Wer anders denkt, sei nur den Widersachern der „Chronologie-Kritiker“ auf den Leim gegangen. So bleibt man, unduldsam dräuend und wenig salonfähig, wenigstens im Gespräch, mag es auch noch so klittern und knittern. Was man glauben mag, das glaubt man, was man beweisen will, das beweist man auch, sonst hätte nichts Zweck. Der alte Goethe schrieb dazu: „Die Gelehrten sind meist gehässig, wenn sie widerlegen; einen Irrenden sehen sie gleich als ihren Todfeind an“. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Gerold Paul
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