Kultur: In schlichter Würde
Nikolaichor sang Cherubinis c-Moll-Requiem am Totensonntag
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Nikolaichor sang Cherubinis c-Moll-Requiem am Totensonntag Von Peter Buske In kurzer Zeit die beiden „Requiem“-Vertonungen von Luigi Cherubini (1769-1842) in Potsdam hören zu können, gehört zu den erfreulichen musikalischen Aktivitäten in diesen Tagen. Der d-Moll-Variante (für Männerchor) in weltlichem Rahmen (Nikolaisaal) folgte nun am Totensonntag die c-Moll-Offerte (für gemischten Chor) im Gotteshaus (Nikolaikirche). Dessen dort beheimateter Chor und das historisierender Spielweise verpflichtete Concerto Brandenburg musizierten unter Leitung von Kantor Björn O. Wiede mit schlichter und feierlicher Würde sowie jenem religiösen Ernst, der dem c-Moll-Requiem angemessen ist. Um die romantisch durchtränkte Wirkung des Werkes mit seinen ergreifenden Erinnerungen an Vergängliches noch direkter und tiefsinniger erleben zu können, hatte der Dirigent an den Beginn seines Ewigkeitsgedenkens Cherubinis „Marche funebre“ für großes Orchester (1820) gestellt. Ein lange nachschwingender Gongschlag, klagende Klänge von Barockposaunen und düstere Paukenwirbel schaffen vom ersten Moment an eine beklemmende Stimmung. Vibratolos intoniert, entsteht einem die Vision einer Trauerprozession gramgebeugter Hinterbliebener, die gesenkten Hauptes dem Katafalk folgen. Das Concerto Brandenburg musiziert bestechend klangintensiv, düster und klangspröde, immer wieder die schmerzzerrissene Requiem-Stimmung vorwegnehmend. Festlich und pompös ausufernd, findet der Trauermarsch seine zeremonielle Krönung – wie für ein Staatsbegräbnis gemacht. Tatsächlich für ein solches ist das Requiem c-Moll bestimmt. Es entstand im Auftrag von Ludwig XVIII., der für den 21. Januar 1816 eine Trauerfeier für seinen dreiundzwanzig Jahre zuvor durch Revolutionäre enthaupteten Bruder Ludwig XVI. angeordnet hatte. Doch fern des Offiziösen hat sich Cherubini bei seiner Vertonung der Liturgie ganz vom Gedenken und den Gedanken an Vergängliches leiten lassen. So ist ein zutiefst menschliches, total verinnerlichtes Lamento in dunklen Stimmungen entstanden. Björn O. Wiede nimmt diese Grundhaltung der Komposition mit ihrer völligen Hingabe ans Düstere zum Ausgangspunkt seiner schlichten, kammermusikalisch feinsinnigen und klangvollen Deutung. Mit den ersten Takten des Introitus „Requiem aeternam“ stellt sich diese Stimmung her. Aus der Tiefe winden sich Fagotte und Celli mit sonorer Stimme empor, worauf der Chor seine trauervolle Antwort findet. Weich und innig, nahezu besänftigend entströmt der Gesang den Kehlen der Sänger, die in der anspruchsvollen Chorliturgie völlig aufgehen. Sie intonieren durchweg sauber, singen ein gutes Pianissimo, bleiben bei aller Dramatik der Sequenz „Dies irae, dies illa“ beweglich, meiden alle knalligen Effekte. So entsteht ein warm timbrierter, homogener Gesamtklang fern jeglicher stimmlicher und gestalterischer Überforderungen. Das erzeugt beispielsweise dem „Judex ergo“ im Leisen eine enorme Innenspannung. Schade, dass die hohen Männerstimmen im „Quaerens me“ etwas zu zurückhaltend singen. Wie schön, dass Björn O. Wiede überdies ein feines Gespür für Gestaltungsnuancen besitzt. Dem düster, fast dumpf angestimmten „Requiem“-Beginn lässt er ein bewegtes, fast beschwingtes Graduale folgen, dem wiederum ein geheimnisvoll anhebender Bericht vom „Tag des Zorns“. Der steigert sich allmählich ins Forte, dabei kräftig unterstützt von Barockposaunen und Barocktrompeten. Das ventillose Naturhorn hat nur zum „Hostias“-Beginn eine kleine Zitterpartie, ansonsten ist sein Tönen genauso wie das des kantabel singenden Holzes und der straff artikulierenden Streicher ohne Fehl und Tadel. Im Kolorieren von Stimmungen und Empfindungen zeigt es sich versiert und variabel. Wie sich im abschließenden „Agnus Dei“ aus anfänglicher ängstlicher Beklommenheit eine ahnungsvolle, ja träumerische Ruhe entwickelt, gehört zu den ergreifenden Momenten dieses Totengedenkens. In Andacht und ohne Händerühren geht man auseinander.
Peter Buske
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