zum Hauptinhalt

Kultur: In schwindelnden Höhen

Ludwig Güttler und Bach-Collegium Leipzig in Sanssouci

Stand:

Ludwig Güttler und Bach-Collegium Leipzig in Sanssouci Von Sonja Lenz Woher nimmt der Mann die Energie? Mit 115 Konzerten im Jahr fühlt sich Ludwig Güttler keineswegs ausgelastet. Der weltweit gefragte Trompetenvirtuose und Vater von fünf Kindern ist auch ein unermüdlicher Musikforscher, Festivalleiter, Juror, Initiator und Vorstand von zahlreichen Musik- und Bürgerinitiativen. Ein Güttler-Tag muss ein paar geheimnisvolle Extrastunden haben. Eigentlich wollte der 60-Jährige sein Konzertpensum reduzieren - jedes Jahr um fünf Prozent. Es hat nicht funktioniert. Vor allem mit Anfragen für Benefizkonzerte lässt er sich immer wieder gern locken. Güttler ist ein leidenschaftlicher Benefizspieler. Sein nimmermüdes Engagement für den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche ist bekannt. Doch das ist längst nicht alles. Für die Aktion „Rettet unsere Fließgewässer“ hat er sich ebenso eingesetzt wie für Rumänien oder die Multiple-Sklerose-Gesellschaft. Auch das alte Schulhaus in Eiche ist dem Trompetenstar nicht gleichgültig. In der Friedenskirche spielte er für die Instandsetzung des lange ungenutzten, denkmalgeschützten Gebäudes. Eine Begegnungsstätte für Jung und Alt will der Kirchbauverein daraus machen. Seit acht Jahren veranstaltet der Verein Benefizkonzerte, und ebenso lange ist Ludwig Güttler mit dabei. Mit seinem Leipziger Bach-Collegium ist er diesmal nach Potsdam gereist. Es ist das älteste der drei Güttler-Ensembles. Schon 1976 - noch als Solo-Trompeter der Dresdner Philharmonie - hat er es gegründet. Eine Sonate von dem Engländer William Corbett sorgt für eine gefühlvolle Eröffnung. Originell ist das Werk mit seinem Übergewicht an langsamen Sätzen mit weit geschwungenen, reich verzierten Melodiebögen. Bernd Schober, Solooboist der Staatskapelle Dresden, ist Güttlers sensibler Dialogpartner. Das siebenköpfige Bach-Collegium spielt die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts auf heute gebräuchlichen Instrumenten. Es hat aber auch von den Erkenntnissen der „Originalklangbewegung“ gelernt. Führende Kräfte aus bedeutenden Orchestern hat Güttler in seinem Ensemble versammelt. Karl-Heinz Passin, Soloflötist im Leipziger Gewandhausorchester, ist ein Collegiumsmitglied der ersten Stunde. Gemeinsam mit Roland Straumer, dem Ersten Konzertmeister der Staatskapelle Dresden, vertieft er sich in Telemanns verspielte, trillerlustige, übersprudelnd heitere Triosonate. Warum die beiden Musiker ausgerechnet die Triosonate von Johann Sebastian Bach, dem Namensgeber des Ensembles, so seltsam blass und lustlos herunterspielen, bleibt das Geheimnis des Abends. Zumal sich die Musiker für das Quintett des jüngsten Bach-Sohns Johann Christian mit so viel Hingabe engagieren: mit weich ineinander fließenden Konturen, einem ausdrucksvollen Cello-Solo, dem virtuosen Cembalo und der Flötenmelodie mit pointierter Pizzicato-Begleitung. Das Applausbarometer in der gut besuchten Friedenskirche klettert höher. Ludwig Güttler fühlt sich wohl in Kirchenräumen. Schon zu DDR-Zeiten hat er viel in Kirchen konzertiert und sich gegen den staatlichen „Alleinvertretungsanspruch“ auf die Kultur gestellt. Auch im Westen hat er sich schon früh einen Namen gemacht. In den siebziger und achtziger Jahren zählte er zu den Kultur-Exportschlagern der DDR. In seinem Repertoire pflegt er heute genau wie damals vor allem gern die Musik der barocken Kleinmeister. Zahlreiche unbekannte Werke von Hasse, Fasch, Zelenka, Heinichen und vielen anderen Komponisten hat er in Bibliotheken und Archiven ausgegraben. Raritäten stehen auch auf dem Potsdamer Programm. Gottfried Finger aus Mähren hat eine Zeit lang als Hofmusiker von Königin Sophie Charlotte gewirkt. Seine Sonate mit der beschwingten Gigue und dem rasanten, gewitzten Finale überzeugt ebenso wie das anonyme Concerto, das möglicherweise Joachim Quantz, der Flötenlehrer von Friedrich dem Großen, geschrieben hat. Ludwig Güttler führt darin den vollen, samtenen Klang und das breite Ausdrucksspektrum des Corno da caccia vor. An der Neuentwicklung des historischen Jagdhorns hat er maßgeblich mitgewirkt. Der Italiener Domenico Gabrielli schraubt Güttlers Trompetenkünste noch einmal in schwindelnde Höhen. Die Trompete ist ein ehrliches Instrument, hinter dem man sich nicht verstecken kann. „Trompeter balancieren auf einem schmalen Grat zwischen Erhabenheit und Lächerlichkeit“, hat Güttler einmal gesagt. Auch der Star hat seine kritischen Abende - aber nicht in Potsdam. Seine Fingerakrobatik verzaubert die Zuhörer. Erst nach zwei Zugaben lassen sie den rastlosen Trompetenvirtuosen ziehen.

Sonja Lenz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })