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Kultur: In tiefster Not getragen Ralph Ludwig stellte

Klepper-Biographie vor

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„Christen sollten die Welt anders sehen als Heiden, sonst brauchten sie ja Christ nicht zu sein.“ Der Theologe, Liederdichter, Journalist und Schriftsteller Jochen Klepper (1903-1942) hat sich bis zuletzt an diesen Leitsatz gehalten. Als er sich ob der NS-Rassengesetze von seiner jüdischen Frau Johanna und deren Tochter Renate trennen sollte, wollte er nicht scheiden, was Gott zusammengefügt. In der Hoffnung auf die Vergebung aller Sünden gingen sie Dezember 1942 zu dritt in den Freitod. Anders als die meisten seiner Glaubensbrüder bezeichnete er das Dritte Reich nicht nur als gottlos, sondern auch als eine „gottgewollte Ordnung“. Allem Gottgewollten dürfe man sich nicht widersetzen, vielmehr müsse man seinen eigenen Anteil an Schuld suchen: Konnte dieses schlimme Reich nicht eine Strafe Gottes und Probe für alle Deutschen samt ihrer Kirchen sein? Ganz in diesem Geist legt der pensionierte Theologe und Rundfunk-Journalist Ralph Ludwig jetzt ein behutsames, ganz wunderbares Porträt über Jochen Klepper vor, das er am gestrigen Donnerstag in der Stiftungsbuchhandlung vorstellte. Der Untertitel „Warum sich der Liederdichter in tiefer Not getragen fühlte“ (Wichern Verlag, 14,95 Euro) zeigt die Richtung an.

Joachim alias Jochen Klepper wurde 1903 zu Beuthen/Oder in eine evangelische Pfarrersfamilie hineingeboren. Abbruch des Theologiestudiums, journalistische Tätigkeit beim Evangelischen Presseverband für Schlesien, wo er auch seine Frau Johanna Stein-Gerstel kennenlernt. Sie heiraten 1931 standesamtlich, sieben Jahre später kirchlich in Berlin, wo er unter anderem für den Rundfunk tätig war. Von seinen Büchern sind „Der Kahn der fröhlichen Leute“ und der Bestseller über den Soldatenkönig „Der Vater“ bekannt, von seinen Kirchenliedern ganz besonders „Die Nacht ist vorgedrungen“ oder „Ich liege, Herr, in deiner Hut“. Aber das Leben meinte es mit ihm nicht gut. Studienabbruch 1926. Austritt aus dem Evangelischen Presseverband 1930. Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer 1937, Soldat von 1940 bis 1941, ein Jahr später dann der Deportationsbefehl für Frau und Tochter, der dreifache Suizid mit Schlaftabletten und einem Schild an der Tür „Kein Licht machen – Gas!“ Kleppers Biographie endet zwar mit der Sentenz „Ich wünsche nichts Schöneres als den Tod“, aber das stimmt so nicht. Wenn man jenseits aller ideologischen Ikonenmalerei nach Haltungen und Wahrheit sucht, ist Jochen Klepper aktuell wie nie.

Wer wollte es heute wagen, eine beliebige Staatsordnung gottgewollt zu nennen, oder die Abschaffung der Predigt im Gottesdienst zu fordern, weil Bibel und Gesangbuch genügten. Salbungsvolles Reden und kircheninterne Gruppenbildung waren ihm sowieso ein Graus. Noch 1935 bestaunte er „das friedliche Nebeneinander von politischer Verwirrung und theologischer Sauberkeit“, da könne „weder die Politik noch die Theologie stimmen“. Für Ralph Ludwig ist es ein Rätsel, warum Klepper den Krieg ohne Murren mitmachte. Er war eben kein Widerständler, sondern hielt zu seinem Land auch in finsterster Zeit. Solche Haltungen zu Gott und der Welt findet man in diesem Buch reichlich. Wie heißt es bei Sören Kirkegaard: Nicht der Zweifel, erst die Verzweiflung führe zum Absoluten. Frei übersetzt nach Klepper: „Daß letztlich gerade das einen trägt, was man als schwere Last empfindet.“ Gerold Paul

Gerold Paul

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