Kultur: In Trümmerwäldern
Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ im Hans Otto Theater
Stand:
Der menschlichen Welt mit ihren starren Konventionen und Regeln ist hier nur ein schmaler Streifen beschieden. Vorn am Bühnenrand lauert der Abgrund, zwei Meter dahinter ragt eine graue Wand so hoch, als wolle sie in den Himmel stoßen. Die einzige Tür in diesem gerippten Blechmonstrum bleibt verschlossen. Hippolyta, einst stolze Fürstin der Amazonen, von Theseus geschlagen in der Schlacht und nach Athen verschleppt, rennt an gegen diese Wand. Sie schreit und tobt, schlägt und tritt gegen das gleichgültige Blech. Eine Furie in heilloser Verzweiflung. Ein letztes, sinnloses Aufbäumen gegen die ihr aufgezwungene Heirat, gegen ein Schicksal, das sie jeder Selbstbestimmtheit beraubt.
Es ist eine albtraumhafte Welt, die Regisseurin Patricia Benecke am Anfang ihrer Inszenierung von William Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“ bei der Premiere am Freitag im Hans Otto Theater zeigte. Das Signal war unmissverständlich. Ihr Sommernachtstraum, eines der wohl am häufigsten gespielten Stücke des großen Engländers, würde kein romantisierender Kostümkitsch werden, wo sich am Ende, nach einigen Irrungen und Wirrungen, die Paare glückselig in den Armen liegen.
Patricia Benecke geht es um Psychologie, um die dunklen Seiten, die in jedem von uns, unter dem dünnen Deckmantel der Vernunft nur dürftig verborgen liegen. Und es geht ihr um das Absolute einer Gesellschaft, in der nur ein Gesetz gilt: das des Patriarchats. Dieses Ernsthafte jedoch bricht sie im Verlauf des Abends immer wieder mit viel Ironie und kraftvollstem Klamauk.
Mit „Ein Sommernachtstraum“, in der herausragenden Übersetzung von Frank Günther, hat Patricia Benecke zum ersten Mal in Potsdam inszeniert. Gleichzeitig ist es auch ihr Shakespeare-Debüt. Nach zwei Stunden an diesem Freitag war klar, dass sie mit ihrer Interpretation dieses regelrechten Sammelsuriums von Ideen und Themen dem Hans Otto Theater kurz vor der Sommerpause noch ein Glanzlicht aufgesetzt hat.
Hinter der Blechwand liegt das Reich des Elfenkönigs Oberon und seiner Frau Titania. Beide heillos miteinander verstritten. Der Züricher Bühnenbildner Kaspar Glarner hat dieses Reich, das bei Shakespeare ein Wald ist, in eine Trümmerlandschaft verwandelt, durch die gelegentlich der Nebel zieht. Es ist der Zuschauerraum, den Glarner hier widerspiegelt. Zwischen den Gesteinsbrocken und am Bühnenrand die Stühle, auf denen auch die Zuschauer sitzen. Verdrehte Welt, verkehrte Ordnung, Traum oder Wirklichkeit. Shakespeares bewusstes Verwirrspiel wird hier durch Glarner faszinierend aufgegriffen.
In diesen Trümmerwald fliehen Hermia und Lysander, weil Hermias Vater statt Lysander den Demetrius für seine Tochter bestimmt. Wie sie da beide am Bühnenrand in ihrem schlichten Unschuldsweis sitzen, in das sie Kostümbildnerin Jessica Karge gesteckt hat, und Lutscher lutschend ihre Pläne schmieden, spürt man schnell, dass ihr kindlich träumerisches Verliebtsein bald die ersten heftigen Blessuren davon tragen wird. Dass ausgerechnet Hermias Freundin Helena in Demetrius verliebt ist, der jedoch Hermia will, Helena aber nicht los wird, gibt dieser Konstellation die richtige Würze.
Elfenkönig Oberon, der seine Gattin Titania mittels eines Zaubermittels, das sie sich blind ihren Trieben hingeben lässt, wieder gefügig macht, will Harmonie zwischen diesen Menschenpaaren stiften. Dass er ausgerechnet den Kobold Puck damit beauftragt, sorgt dann für noch mehr Verwirrung.
Es geht wild zu dort im Trümmerwald. Nicoline Schubert als Hermia, Ulrich Rechenbach als Lysander, Caroline Lux als Helena und Henrik Schubert als Demetrius laufen hier zur Hochform auf. Shakespeare lässt den Figuren in diesem Wirrwarr kaum Raum für eine Entwicklung. Doch mit wenigen Feinheiten holt die Regisseurin Eigenwilliges aus beiden Paaren. Michael Scherff und Anne Lebinsky in den Doppelrollen Theseus/Oberon und Hippolyta/Titania verbinden die traumartige Feenwelt mit der starren Wirklichkeit in Athen und zeigen so die sichtbaren und versteckten Seiten des Menschen. Sabine Scholze gibt einen scheinbar überarbeiteten Puck, der das Treiben im Trümmerwald lieber verschlafen würde, in den entscheidenden Momenten aber die unbändige Freude auf den bevorstehenden Schabernack mit koboldhafter Hektik entfacht.
Als Klammer für dieses Durcheinander dient Patricia Benecke die herrlich groteske Laientheatertruppe Athener Handwerker, die anlässlich der Hochzeit von Theseus und Hippolyta mit „Pyramus und Thisbe“ glänzen wollen. Allein dieser sechsköpfige Haufen hätte eine eigene Kritik verdient. Christian Klischat als herrlich sich selbst überschätzender Zettel, Tobias Rott als Regisseur Squenz, der vom großen Theater träumt und doch nur an seinen so wunderbar stümperhaften Kollegen verzweifeln muss. Herausragend in diesem grandiosen Chaotenteam aber Helmut Fritzsch, wenn er als Schnauz in Hausmeisterkittel und Hut bei der katastrophalen Aufführung mit höchster Ernsthaftigkeit die Wand zwischen Pyramus und Thisbe spielt. Da möchte man auf die Knie gehen!
Verwunderung am Ende nur darüber, dass der Applaus im fast ausverkauften Saal nicht länger anhielt und kraftvoller war, dass der vereinzelte Jubel so verhalten blieb. Die Regisseurin Patricia Benecke und die Schauspieler, Bühnenbildner Glarner und Kostümbildnerin Jessica Karge hätten davon wahrlich viel mehr verdient.
Nächste Vorstellungen: Hans Otto Theater, So 22.6., 17 Uhr, Fr 27.6., 19.30 Uhr, 10/19/29 €
Dirk Becker
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