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Kultur: Infektiöser Klangfarbenvirus

5. Sinfoniekonzert mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt im Potsdamer Nikolaisaal

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5. Sinfoniekonzert mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt im Potsdamer Nikolaisaal Von Peter Buske Der Überraschungen ist fast kein Ende. Der Nikolaisaal ist voll, die Erwartungshaltung des Publikums groß. Es knistert. Wie wird das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt den aktuellen Hickhack um sein weiteres Fortbestehen wegstecken? Die Musiker geben allen Kritikern und Nörglern an ihrem Status und ihrer künstlerischen Statur die einzig mögliche Antwort: Sie spielen sich die Seele aus dem Leib. Für das 5. Sinfoniekonzert haben sie sich hauptsächlich frankophonen Esprits verschrieben, den sie bei Maurice Ravel entdecken und mit ungarischer Beilage (Liszt, Brahms/Schönberg) garnieren. Für den Erfolg bürgen französische Künstler. Unter pianistischer Hilfestellung (François-Joël Thiollier) und dirigentischer Anleitung (Fabrice Bollon) erspielen sie sich und den Werken einen einhelligen Erfolg. Die Probenarbeit sei „angenehm und anstrengend“ gewesen, ist zuvor aus Musikerkreisen zu erfahren. Man hört es. Das Orchester atmet wie ein Klangkörper, lässt die Musik erblühen, leuchten, funkeln und strahlen. Es passt sich dem Nikolaisaal vorzüglich an (!), gewinnt sich neue Klangfarben und Ausdrucksbereiche hinzu. Geradezu spannend und genüsslich breiten die vom Klangfarbenwundervirus a la francaise infizierten Musiker die 2. Orchestersuite der expressionistischen Bildererzählung „Daphnis und Chloe“ von Ravel aus. Selten hört man die naturidyllische Beschreibung von Morgendämmerung so hinreißend schillernd und brillant wie an diesem Abend. Ohne von wabernden Nebelschwaden verdeckt zu sein, enthüllt sich die Klanglandschaft. Was für ein gleisnerischer Sonnenaufgang! Frappierende Licht-, Schatten- und Klangspiele geraten überwältigend – und sind so nur durch ein mindestens 80-köpfiges Ensemble zu erreichen. Wer es, wie beabsichtigt, verstümmeln will, versündigt sich nicht nur an ihm, sondern auch an der Musik. Immer wieder kontrastieren Schroffheiten mit Zärtlichkeit, Windstreicheln der Wellen mit lastender Mittagshitze. Die Flöte darf sich hierbei wie auch im Pas de deux (Pantomime) der dankbarsten Soli erfreuen. Regelrecht rauschhaft, dennoch dynamisch sehr differenziert stampft der Danse generale vorüber, in dem Strawinskys Rhythmusorgie des „Sacre“ grüßen lässt. Unter anspornender Dirigentenleitung erfährt Ravels D-Dur-Klavierkonzert für die linke Hand eine nicht minder mitreißende Wiedergabe. Das Werk entstand 1930 auf Anregung des österreichischen Pianisten Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg den rechten Arm verloren hatte. Düstere Stimmungen kriechen, hervorgerufen durch dumpfes Grollen der Kontrabässe, Celli und des Kontrafagotts, amöbengleich durch die weiteren Instrumentengruppen. Am Kulminationspunkt des sich allmählich steigernden Klangrausches setzt das Klavier ein. François-Joël Thiollier greift energisch in die Tasten, verwendet viel rechtes Pedal, führt die heroische Attitüde fast ausufernd vor. Nicht weniger intensiv versenkt er sich in das liebliche, verträumte Seitenthema. Was für ein gestalterischer Reichtum, den der Tastenmagier hier vorführt – und das nur mit links. Keck und spritzig schaut er sich im Scherzo um, tanzt einen grotesken Marsch. Voller Spielbegeisterung hebt es den Pianisten immer wieder vom Hocker, das Publikum fast von den Sitzen. Es erklatscht sich eine verträumte Skrjabin-Zugabe (Nocturne für die linke Hand!) und den virtuosen klangbrillanten „Sehnsuchtswalzer“ von Carl Czerny, dem Lehrer von Franz Liszt. Dass sich eine Applausprämie einer programmdramaturgischen Absicht einordnen kann, beweist der französische Meisterpianist modellhaft. So schließt sich der Bogen zu Franz Liszts Ungarischer Rhapsodie Nr. 1 vom Beginn des Abends. Temperamentvoll spornt der Dirigent seine Mannen zum Ritt auf rassigen Rossen durch die Puszta an. Immer wieder sorgen Zäsuren für ein Innehalten, sodass sich gleichsam der Eindruck des Suchens einstellt. Durch sein kontrastbetontes Musizieren versteht es der Dirigent, Klang zu modellieren und Stimmungen feinsinnig zu variieren. Holzbläser erhalten viel Freiraum zum Entfalten ihrer konturenklaren Einwürfe. Fortsetzung findet die gegenseitige Spiellust zum Abschluss des Konzertabends in der überwältigenden Wiedergabe von Arnold Schönbergs Orchestrierung des Klavierquartetts Nr. 1 g-Moll op. 25 von Johannes Brahms, dem das magyarische Feuer im finalen „Rondo alla zingarese“ aus allen Takten lodert. Ob seiner Klangfülle verleitet das Opus oftmals zu spielerischen Kompaktlösungen, denen die Frankfurter jedoch gänzlich abhold sind. Sie bevorzugen eine entschlackte Tonproduktion, lassen die Musik organisch pulsieren, sich ausschwingen. Genüsslich werden die Finessen der Instrumentierung ausgekostet, Präzision und Rhythmusgefühl ins Brahms/Schönbergsche Feld geführt. Man langt kräftig und laut zu, versenkt sich ins Leise, kapriziert sich gelöst ins Liedhafte des Intermezzo, das fast duftig entschwindet. Nach fröhlicher Jagdatmosphäre, liebesglühendem Schmachten und tänzerischem Auftrumpfen kennt der Jubel keine Grenzen.

Peter Buske

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