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Kultur: Inmitten menschenleerer Wildnis

Jo Bentfeld über sein Aussteigerleben in Kanada

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Fast möchte man ihn beneiden, den hochgewachsenen Mann mit dem Rauschebart, der fernab der Zivilisation in einem selbstgezimmerten Blockhaus in den nordwestlichen Wäldern Kanadas lebt. Jo Bentfeld ist ein echter Aussteiger, nicht nur ein Romantiker, sondern einer, der ernst gemacht hat, als er vor 27 Jahren sein bürgerliches Dasein als Hochschul-Dozent und Beamter gegen das einfache Leben inmitten einer menschenleeren Wildnis eingetauscht hat. Nur noch für einige Wochen im Winter kommt der mittlerweile 79-Jährige jedes Jahr für seine Dia-Vortragsreisen nach Deutschland zurück, bevor er dann wieder in den kanadischen dichten Urwäldern verschwindet. Länger halte er es hierzulande nicht mehr aus, so Bentfeld etwas verschmitzt am Dienstagabend im gut gefüllten Veranstaltungssaal der Urania.

Mit seinen Vorträgen und Büchern ist Bentfeld einer, der Sehnsucht in uns weckt. Der uns für ein paar Stunden mit auf eine Reise nimmt, um sich dem Gedankenspiel hinzugeben, wie es wohl wäre, so konsequent alles hinter sich zu lassen wie er, sich von selbst auferlegten Zwängen zu befreien, um dem näher zu kommen, was vielleicht mehr Glück und Erfüllung bedeuten könnte.

Hatte Bentfeld für bisherige Vortragsreisen seine nächsten Nachbarn, die immerhin zwei Tagesmärsche entfernt leben, noch nicht so häufig fotografiert, so stellt er sie an diesem Abend in den Mittelpunkt seiner Dia-Show. Die Menschen, die da mit offenen Gesichtern in die Kamera blicken, sind Waldindianer der Sprachgruppe der Athabasca, zu der 54 verschiedene Stämme zählen, die allesamt aber kaum etwas mit den federgeschmückten Prärie-Indianern aus Karl-May-Büchern oder den Leinwandepen gemein haben. Und mit seiner kräftigen, noch vom schwäbischen Akzent geprägten Stimme gerät Bentfeld ins Schwärmen, wenn er von ihrer uralten Kultur und Geschichte und mehr noch von ihren heutigen Lebensgewohnheiten berichtet, von einem Alltag zwischen Brauchtum und Moderne, wo keiner mehr in Tipis lebt und sich mit Fellen bekleidet und das liebevolle Schnitzen von Totempfählen inzwischen zu einem regelrechten Kunstgewerbe aufgeblüht ist.

Einiges weiß Bentfeld recht flüssig und eloquent über die Kultur, die Darstellung der Sagenwelt und die Tänze der Indianer zu erzählen, doch sei es bedauerlich, dass kein sachkundiger Indianer im Publikum sitze. Einer von seinen Nachbarn also, denen es wirtschaftlich recht gut ginge dort im Einzugsgebiet des Yukon-Flusses, wo sich längst Parlament, Schulsystem und moderne Verwaltungsstrukturen herausgebildet hätten und ein seit eh und je ausgeprägtes Matriarchat vorherrsche. Nur dass das Klischee-Bild des trunksüchtigen Indianers tatsächlich einer extremen Unverträglichkeit von Alkohol geschuldet sei, mochte da ein wenig seltsam klingen.

Doch es sind nicht zuletzt die vielen Bilder der majestätisch schönen Landschaft Nordkanadas und ihrer so üppigen Tierwelt, die Fernweh wecken und eine Sehnsucht nach einem Leben in einer von Menschen kaum berührten, ja vollkommenen Natur. Dazu die lebhaft heiteren Anekdötchen Bentfelds, wenn er von Grizzlys und neugierigen Schwarzbären erzählt, die sich schon mal ungefragt zu einem ans Lagerfeuer setzen, von Bisonherden, die direkt am Alaska Highway grasen, von Waldhühnern, Schneeziegen und auf Baumwipfeln sitzenden Fischadlern. Natur im Urzustand, darin Bentfeld umherstreift und zu Hause ist, täglich die schier unendliche Gebirgslandschaft der Rocky Mountains im Blick. Wohl daher die Begeisterung in seiner Stimme, die den knapp zweistündigen Diavortrag so belebt und aller Gedanken weit öffnet und gleiten lässt; wenn endlich beinahe schon Postkartenmotive an die Wand projiziert werden: Der Schein der Mitternachtssonne, die Glutfarben des legendären Indianersommers, die Vorhängen gleichenden Polarlichter am Nachthimmel. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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