Kultur: Innere Welten
Die weltberühmte Mezzosopranistin Waltraud Meier gab einen umjubelten Liederabend im Nikolaisaal
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Dass die Kunst des Liedgesangs bis heute großen Zuspruch findet, war am Freitag im sehr gut besuchten Nikolaisaal zu erleben. Die Mezzosopranistin Waltraud Meier, eine der bedeutendsten Wagner-Interpretinnen unserer Zeit, löste mit ihrem Vortrag von Schubert- und Strauss-Liedern begeisterte Ovationen aus. Nach der zweiten Zugabe stürmte gar ein junger Verehrer auf die Bühne, fällt vor der Sängerin auf die Knie und überreichte ein Blumenbouquet. So eine überschwängliche Geste voller Bewunderung und Dankbarkeit wirkt fast wie aus einem Film über das 19. Jahrhunderts. Doch angesichts von Waltraud Meiers überragendem Recital erscheint solch scheinbar altmodisches Benehmen ganz modern.
Ganz klassisch kommt Waltraud Meier daher. Fernsehübliches Gebaren ist ihr fremd. Keine Moderation, keine überflüssige Bewegung behindern die Konzentration auf den puren Gesang. Praktisch alle Wagner-Partien ihres Fachs hat die gebürtige Würzburgerin gesungen. Seit einigen Jahren widmet sie sich verstärkt dem Liedgesang. Fünf Lieder von Franz Schubert eröffnen das Konzert. Während „Die Forelle“ Christian Schubarts Gedicht mit munteren Tönen ausdeutet, beleuchten das „Gretchen am Spinnrade“ und der „Erlkönig“ nach Texten von Goethe düstere Seelenaspekte. Es sind dramatische Szenen von Liebesleid und Todesschauern, in denen die metaphysischen Grenzüberschreitungen der Romantik aufklingen. Gesang und Musik bilden hier das Medium für die „Offenbarung der Welt des Unsichtbaren“, wie Herder schrieb. Dient das „Nachtstück“ eher noch der Einstimmung, so entfaltet Waltraud Meier ihren strahlenden dramatischen Mezzosopran erstmals im „Erlkönig“, dem Geniestreich des achtzehnjährigen Schubert.
Zu den Liedern von Richard Strauss passt genau, was Daniel Barenboim über seine Zusammenarbeit mit Waltraut Meier sagte: „Einer ist der Handschuh und der andere die Hand – man weiß nur nicht wer von beiden.“ Die Strauss-Lieder passen so gut zur Stimme der Sängerin als seien sie für sie komponiert worden. Oder anders herum, Waltraud Meiers Stimme besitzt nun jenen Reifegrad aus Lebenswissen und Kultiviertheit, die den Strauss-Liedern ein unerlässliches Quantum an fülliger Blüte und glühendem Glanz verleiht. So verströmt das sehnsüchtige „Cäcilie“ viel von jenem goldenen Schmelz des Fin-de-siècle, wie er im Bild „Der Kuss“ von Gustav Klimt zu sehen ist. Mit viel Sinn für intime Versenkung in die Zauberwelten des Inneren erscheint die „Winterweihe“. Angetrieben von einer irrisierenden Klavierbegleitung (meisterhaft: Joseph Breinl) gerät „Wie sollten wir geheim sie halten“ zu einem triumphalen Fanal der Liebesgewissheit. Über pointillistischen Klängen des Klaviers in „Morgen!“ ziehen sich leuchtende, geschmeidige Linien der klaren vibrierenden Stimme. Wie Feuerwerksrosetten in Zeitlupe entfalten sich ihre unzähligen Klangnuancen in „Befreit“.
Mit berauschenden Tönen betören und verlocken die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss, die ein Jahr vor seinem Tod entstanden. Ein klangvolleres und majestätischeres Lebwohl von der Welt als dieses ist wohl nie mehr komponiert worden. Für Hermann Hesse, auf dessen Gedichte drei der Lieder entstanden, enthielt die Musik schon zu viel an Virtuosität und „handwerklicher Schönheit“. Das unbeschädigte Pathos der Musik, ihr selbstgewisses Strahlen ist in der Tat – nur drei Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges – erstaunlich. Zugleich aber wirken sie so zeitlos entrückt, dass sie von völlig anderen als irdischen Dimensionen zu künden scheinen – auf jeden Fall in den unermesslichen Fernen des „Abendrot“. Für ihre glutvolle, ergreifende Interpretation erntet Waltraud Meier Begeisterungsstürme. Sie bedankt sich Liedern von Gustav Mahler und Hugo Wolf.
Babette Kaiserkern
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