Von Antje Horn-Conrad: Inspiriert von Bach
Christoph Bochdanskys Figurentheater „Ich freue mich“ bei Unidram
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Bach braucht kein Theater. Wer seine Musik zu hören versteht, schließt gern die Augen, um sich ganz der Bilderwelt hinzugeben, die sie im Innern wachzurufen vermag. Nichts anderes hat Christoph Bochdansky getan. Was der Wiener Schauspieler dabei zu sehen bekam, brachte er am Dienstagabend in dem Stück „Ich freue mich“ nach einer Kantate von Johann Sebastian Bach auf die Bühne des T-Werks. Ein traumversunkenes Spiel mit bizarren Figuren und seltsamen Formen, wie sie des nachts zu gern aus dem Unterbewusstsein aufsteigen, um uns an etwas zu erinnern.
Die Arie „Ich freue mich auf meinen Tod“ aus der Kantate „Ich habe genug“ BWV 82 scheint bei Bochdansky tief liegende, sorgsam verwahrte Gefühle erschüttert zu haben. Sinnbildlich dringt er zu deren Kern vor, indem er, dick eingekleidet in mehrere Pelzgewänder, eines nach dem anderen ablegt, sich Schicht für Schicht aus den Verkrustungen herausschält und schließlich das Kind, das er einmal war, als Gliederpuppe in den Armen hält. Er wiegt es sanft, hilft ihm, auf den eigenen Füßen zu stehen und erste Schritte zu gehen.
Dann aber verlässt er es. In der Gestalt eines grauen, sich wundernden, mitunter spitz aufschreienden Geistes entfernt sich Bochdansky langsam von dem einsam zurückbleibenden Knaben, schaut nur noch ab und zu unter dessen aufklappbare Schädeldecke, mal verschreckt, mal verzückt.
Christoph Bochdansky gehört zu den Protagonisten eines modernen Figuren- und Objekttheaters, das dem Zuschauer unendlich viel Raum für Assoziationen bietet. Er verzichtet völlig auf eigenen Text, setzt allein auf die Wirksamkeit seiner Bildsprache und die Musik, die zwischen elektronischen Klängen, heftigen Gitarrenriffs und sirtaki-ähnlichem Volkstanz wechselt. Meist korrespondiert sie mit dem Tempo und Temperament der Verwandlungen im Bühnenraum. Sobald aber die Bach-Kantate anklingt, tritt alles andere in den Hintergrund. Diese Musik ist und bleibt die höhere Kunstform, die keiner Illustration bedarf. Bochdansky nimmt sich an diesen Stellen zurück und lässt dem Zuschauer so die Möglichkeit, sich auf den Gesang zu konzentrieren und darüber zu sinnen, wie es gelingen kann, dem Tod ohne Furcht zu begegnen.
Bochdansky hat für sich eine sehr versöhnliche Lösung gefunden, vielleicht sogar die einzig mögliche. Sein Erinnern ist frei von Hass. Die Puppen und Gestalten gehen liebevoll mit sich und ihrem Schöpfer um und spenden einander Trost. Wenn der graue Geist „seine“ Hand schützend ausbreitet, damit der Puppenspieler seinen Kopf hineinlegen kann, dann verschwimmen die Grenzen. Wer tröstet hier wen? Auch der heitere Umgang mit den Unbilden des Lebens scheint zu helfen: In regelmäßigen Abständen taucht ein grüner, drachenähnlicher Giftzwerg auf, der dem Puppenspieler Puder ins Gesicht spuckt. Das ist tragisch und komisch zugleich.
Der Getroffene aber lässt sich davon nicht unterkriegen. Er wischt sich die Augen frei und setzt seine Erinnerungsreise fort. Am Ende steht Bochdansky vor einer überdimensionierten Blüte mit drei Kelchen, aus denen über seinem Kopf wie ein Strahlenkranz goldene Staubblätter herauswachsen. Er wirkt erschöpft, aber glücklich.
Noch immer stimmt, dass Bach kein Theater braucht. Aber manchmal, so die Erkenntnis dieses Abends, braucht das Theater seine Musik.
Antje Horn-Conrad
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