Kultur: Intimer Moment von vier Minuten Das 7. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal
Der erste Blick nach vorn Richtung Bühne ließ Skepsis aufkommen. Zwei prachtvolle Boxen, die von der Saaldecke hingen und vor dem Stuhl, auf dem die Solistin später Platz nehmen würde, war ein Mikrofon postiert.
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Der erste Blick nach vorn Richtung Bühne ließ Skepsis aufkommen. Zwei prachtvolle Boxen, die von der Saaldecke hingen und vor dem Stuhl, auf dem die Solistin später Platz nehmen würde, war ein Mikrofon postiert. Klassische Gitarre trifft auf Orchester: Ein Zusammentreffen, das immer zu Lasten der Gitarre gehen muss. Aber so sehr, dass hier sogar elektronische Verstärkung gebraucht wird? Als das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt unter Leitung von Eduardo Portal am Samstag im gut besuchten Nikolaisaal mit George Bizets „Carmen“-Suite, auf dessen bekannter Oper basierend, das 7. Sinfoniekonzert der Saison eröffnete, war schnell klar, das Mikrofon und Boxen nicht umsonst aufgestellt waren.
Bizets „Carmen“ aus der Mottenkiste zu holen, das ist schon eine mutige Tat. Es ist zwar nicht des Komponisten Schuld, doch allzu sehr und unerträglich häufig sind dessen musikalische Themen schon zitiert worden, dass wohl kaum einer, auch wenn er noch nie die Namen Bizet und Carmen gehört hat, behaupten kann, diese Musik nicht zu kennen. Wie diesen durchgenudelten Gassenhauer nun in Szene setzen, dass der Konzertbesucher vielleicht doch noch staunen oder gar Neues entdecken kann? Eine Frage, die Portal wohl nicht interessierte. Er setzte auf das Gefällig-Bekannte der Melodien und den Knalleffekt und ließ die Frankfurter krawallieren als gelte es, böse Geister zu vertreiben. Als danach die amerikanische Gitarristin Sharon Isbin für das „Concert de Gaudí“ von Christopher Rouse die Bühne betrat, war die anfängliche Skepsis noch größer geworden.
„Concert de Gaudí“ ist ein Auftragswerk, geschrieben für Sharon Isbin und dem spanischen Architekten Antoni Gaudí gewidmet, der für seine unvollendete Basilika Sagrada Família in Barcelona bekannt geworden ist. Ähnlich wie dieses von Gaudís phantasievoller Architektur überschäumende Gebäude sind auch die drei Sätze Rouses Konzerts konzipiert. Am Anfang eine Art Verneigung vor Joaquín Rodrigos „Concierto de Aranjuez“, und schon wanden sich surreale Klangstrukturen zu einem verspielten Bauwerk, bei dem in Potsdam vor allem das Orchester den Ton angab. Immer wieder ging, trotz der Verstärkung, Isbins Spiel in dieser Orchesterdominanz unter. Ob so gewollt oder nicht, konzentrierte man sich auf die Gitarre, blieb das Ganze auf der Strecke. Verstand man die Gitarre nur als ein Instrument unter vielen im Orchester, blieb nicht mehr als ein paar gelegentliche und oft nur blasse Gitarrentupfer in diesem „Concert de Gaudí“. Daran änderte auch der Soloteil im dritten Satz nicht viel, der mehr nach Zwang denn Leichtigkeit klang.
Erst mit einer kleinen Zugabe vor der Pause, „Andecy“ vom Gitarristen und Komponisten Andrew York, konnte Sharon Isbin zeigen, was ihre Meisterschaft und die Schönheit der klassischen Gitarre ausmachen. Nur sechs Saiten, die eine einfache Melodie umspinnen, getaucht in etwas Melancholie, nuancenreich und voller Farben. Ein intimer Moment von vier Minuten, der der Höhepunkt an diesem Abend blieb.
Nach der Pause mit Mahir Cetizs „Glittering Shadows“ dann eine Uraufführung. Seelenschatten sollten hier musikalisch aufgezeigt werden, eine Erkundung unserer „dunklen“ Seite. Doch die unentschlossene Interpretation ließ einen nur ratlos zurück. Und als zum Abschluss drei Tänze von Manuel de Falla aus „Der Dreispitz“ gegeben wurde, war einem endgültig klar, was an diesem Abend gefehlt hatte. Der Sinn für das Feine, die Differenzierungen und Nuancen. Wie schon bei Bizets „Carmen“-Suite war es vor allem der Knalleffekt, um den es hier zu gehen schien. Und so wurden noch ein paar Dezibel hinzugegeben. Das Publikum applaudierte begeistert. Und wenn es gefällt und die Stimmung hebt, hat die Musik ja einen Zweck erfüllt. Dirk Becker
Dirk Becker
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