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Kultur: „Ist Stille nicht auch Musik?“

Der Kontrabassist Tobias Lampelzammer über John Cage, Morton Feldman und den Zufall in der Musik

Stand:

Herr Lampelzammer, die Komponisten John Cage und Morton Feldman stehen bei dem „KAPmodern“-Konzert der Kammerakademie am morgigen Donnerstag im Mittelpunkt. In seinem Essay „Vortrag über Etwas“ schreibt Cage über seinen Kollegen Feldman, dass dieser „die Verantwortung des Komponisten vom Machen aufs Akzeptieren verlagert“ habe. Wie schlägt sich dieses Akzeptieren statt Machen in der Musik nieder?

Zu den Arbeitsprinzipien von Cage gehörte es, dass er sich unter anderem auf spielerische, aber auch auf philosophische Art und Weise einen Rahmen geschaffen hat, in dem er teilweise dem Zufall Raum gab. Er hat auch das asiatische I-Ching, ein Rätselspiel, befragt und sich so selbst von der Position dessen entfernt, der die Entscheidungen trifft und bewusst die Töne in einer Komposition setzt. Im Grunde ist das ein Art Selbstentmachtung hin zu der Aussage: Kunst ist nichts Gemachtes, sondern Kunst ist letztlich Leben. Und da kann auch der Zufall mitentscheiden.

Aber wenn Cage seine Kompositionen aufs Papier gebracht, sie also verschriftlicht hatte, dann war er doch wieder ein Macher?

Ja, natürlich ist er in diesem Moment ein Macher und sein Name steht dann auch über der Komposition. Aber Cage hat immer versucht, einem den sicher geglaubten Boden unter den Füßen wegzuziehen und mit scheinbaren Selbstverständlichkeiten aufzuräumen. Er wollte, dass wir hinterfragen, was Klang eigentlich ist, welche Rolle Klang überhaupt spielt. Ist es wirklich so, dass nur C-Dur als wohlklingend empfunden werden kann? Kann es nicht auch sein, dass ein Geräusch Musik ist? Und dass Stille nicht auch wie der Klang ein Teil von Musik sein darf?

Cage, einer der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, war in seinem Schaffen vor allem ein Pionier. Aber war er nicht gleichzeitig auch ein großer Ironiker, ein Mensch mit viel Humor?

Seine Ideen sind einerseits provozierend, andererseits ist da immer auch ein Augenzwinkern mit dabei gewesen. Cage hatte Utopien, radikale Utopien, aber er hatte auch Humor. Er war nicht nur Komponist, sondern auch Philosoph. Und wenn man etwas Allgemeines zu seinen Arbeiten sagen kann, dann, dass er damit immer Augen öffnen wollte.

Wie erleben Sie als Musiker, als Kontrabassist den Komponisten John Cage?

Cage ist immer eine Herausforderung, ist immer anstrengend, weil er einem nicht auf fünf Linien irgendwelche Noten hinschreibt. Zum Beispiel sein Stück „59 ½ seconds for a string player“, das ich am Donnerstag spielen werde. Da hat er jedes Detail in einzelne grafische Systeme aufgenommen. Die Dynamik und jede Saite hat ihr eigenes System und man muss sich eine völlig neue Lesart antrainieren, weil hier eben keine Noten stehen. Und dann muss man auch noch nach 59 Sekunden mit dem Stück fertig sein, obwohl es kein richtiges Metrum in dem Sinne gibt und der Musiker auch nicht unbedingt eine Uhr neben sich zu liegen haben sollte.

Wie muss man sich dieses grafische System vorstellen?

Das sind große Blätter mit vier Linien darauf, für jede Saite eine. Auf diese Linien hat er ungefähre Tonhöhen notiert, die man spielen soll, und noch eine Vielzahl von kleinen Anweisungen, wie Haare am Bogen streichen, Geräusche, am Griffbrett streichen oder Pizzicato, also das Zupfen der Saiten. Diese großen Seiten sehen dazu noch sehr schön aus, fast wie ein Gemälde, haben regelrecht einen ästhetischen Wert. Das ist ja fast schon typisch für Cage, dass seine Notationen ins Bildnerische umschlagen und man eigentlich Bilder spielt.

Wo sehen Sie Verbindungen zwischen den Komponisten Cage und Morton Feldman?

Morton Feldman hat die Klänge aus ihrem festen Muster der Harmonie, des Rhythmus und ihrer Beziehungen untereinander befreit. Diese schwebenden Klangbilder, diese Sphärenklänge, die bei Feldman vorkommen, entstehen aus dieser neu gewonnenen Freiheit, da man sich weder an eine Zwölftonreihe noch an ein festes harmonisches Gefüge halten muss. Hier kommen die Töne wirklich. Die sind bei Feldman zwar exakt notiert. Aber der Prozess des Komponierens unter diesen Aspekten der Befreiung war auch für Cage der Idealfall. Und das verbindet die beiden. Aber auch die Philosophie von Cage findet sich in den Arbeiten von Feldman wieder.

Aber beide kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Ja, das ist interessant. Feldmans Musik ist sehr ernst und ganz ehrlich. Da ist, im Gegensatz zu Cage, kein Augenzwinkern. In seinen ganz leisen, zerbrechlichen Klangbildern findet der Stillstand seinen Ausdruck. Umso erstaunlicher finde ich den Umstand, dass Feldman in New York, in einer Stadt voller Hektik und Lärm, solche stille, ruhige und langsame Musik geschrieben hat. Heute würden wir dazu Neudeutsch sagen: „Entschleunigung“.

Ist das morgige Konzert, wo neben Cage und Feldman auch Werke von Toshio Hosokawa und Giacinto Scelsi zu hören sein werden, dann in einem gewissen Sinne auch als Versuch der Entschleunigung zu verstehen?

Ja, wenn man es zulässt. Das ist natürlich unsere Hoffnung, dass die Musik entschleunigend wirkt. Sie lädt dazu ein, sich fallenzulassen, auch wenn das jetzt etwas esoterisch klingt. Es geht darum, wegzukommen von der doch oft sehr aktiven Rezeption moderner Musik hin zu einer ganz meditativen Haltung. Daher beginnen wir das Konzert auch mit einem Text von John Cage mit dem Titel „Vortrag über Nichts“. Da heißt es, dass alle in der Art und Weise, wie sie diese Musik aufnehmen, sich so frei wie möglich geben sollen. Er geht sogar so weit und sagt, wer schläfrig ist, der soll schlafen. Keine Wertung, keine Vorgaben, keinerlei machende Haltung, was die Einstellung des Zuhörers betrifft.

Das Gespräch führte Dirk Becker

„Unendliche Zeiten – Time Studies“ im „KAPmodern“-Konzert am morgigen Donnerstag, 20 Uhr, im Foyer des Nikolaisaals in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Der Eintritt kostet 15 Euro. Karten in der Ticket-Galerie des Nikolaisaals oder unter Tel.: (0331)28 888 28

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