Kultur: It“s Partytime
Gelungener Start: Die 16. Potsdamer Tanztage mit „Red Letter Days“
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Als hätte sich Sabine Chwalisz alles, was sie über Tanz und das Leben zu sagen hat, für diesen Augenblick aufgehoben. Für den Moment, in dem sie bei der Eröffnung der 16. Potsdamer Tanztage hinter das Mikrofon tritt und das Publikum des internationalen Festivals für zeitgenössichen Tanz mit einem Zitat von Catherine Diverrès begrüßt. „Tanz ist eine Reise in die Erinnerung“, gibt die Leiterin der Tanzfabrik am Mittwochabend vor fast vollem Hause die französische Choreographin wieder: „Er verändert, verströmt Duft, ist Genauigkeit des Blickes und der Geste“.
Das hört sich groß an. Und das ist groß gemeint: „Tanz kann das alles“, sagt Sabine Chwalisz. Man braucht dazu nicht mehr als neugierige Künstler, ein neugieriges Publikum und den Mut, sich auseinanderzusetzen. Das ist der Weg der fabrik, damit wendet sich das vom Tanzplan Deutschland so wohl bedachte Zentrum für Tanz und Bewegungskunst der Welt zu, tanzt mit Schülern, holt Künstler aus dem Ausland nach Potsdam. Das Festival hat in diesem Jahr zehn Aufführungen aus acht Ländern auf dem Programm.
Das Eröffnungsstück „Red Letter Days“, kommt aus Finnland. Jenni Kivelä hat damit 2005 den Internationalen Wettbewerb für Choreographen im japanischen Saitama gewonnen. Ob die Deutschlandpremiere aus dem Norden Europas verändert, sei dahingestellt. Das aber an dieser Geschichte über im Kalender rot angezeigte Feiertage der Funke auf die Gäste der fabrik überspringt, das ist ziemlich schnell zu spüren. Das finnische Stück ist ein unendlicher Befreiungskampf gegen gesellschaftliche Regeln. Und trotzdem erzählt es ganz leichtfüßig und feinfühlig, ganz sanft und voller Energie. Nordische Schwermut adé.
Auf der Bühne sieht es gemütlich aus. In der Ecke eine grüne Parkbank. Weiter vorne ein schön gedeckter Tisch. Von der Decke hängen Lampen, die wie Glühbirnen-Trauben aussehen. Ein Ort, an dem man sich wohlfühlen und Spaß haben könnte. Auch die Leute sehen nett aus: Die Tänzer, vier sympathisch individuelle Gestalten. Eine große, robuste Braut mit rotem Haar, zwei Männer im Frack, einer klein, der andere mit Bart (beide könnten der Bräutigam sein) und eine Frau mit kurzem, schwarzem Haar im Blumenkleid.
Von Anfang an lassen sich die Vier nur sehr ungern in das Normenkorsett der Gesellschaft zwängen. Bei Feiern zu bestimmten Zeiten kommen, bleiben, gehen. Sich passend anziehen, die richtigen Dinge sagen, sich richtig verhalten. Das ist nichts für sie. Sie fühlen sich gedrängt in ihren Rollen, als Gast oder Gastgeber. Man sieht es sofort, sie winden sich, bedecken das Gesicht mit den Händen. Im Befehlston redet eine Stimmme aus dem sie ein: Trainiere, deine Hände natürlich zu halten, lasse deinem Gegenüber 70 Zentimeter Intimsphäre, dräng dich nicht auf, versuche, emotionale Ausbrüche zu verhindern.
Aber irgendwann bricht es doch aus ihnen heraus. Mit weiten Gesten befreien sie sich. Da ist viel Energie auf der Bühne, viel Schwung, viel Spaß. Und das überträgt sich.
Immer wieder kommt eine Stimme aus dem Off, mal spricht eine Frau zu den vier Gestalten im Raum, mal ein Mann. Sie geben Befehle, erzählen, erklären. Schön, die melancholischen und trotzdem fröhlichen Lieder mit der weichen Frauenstimme, Akkordeon und Gitarre, die an Yann Thiersen erinnern. Ein schönes Schauspiel, wie die vier Tänzer den Raum einnehmen, mit Tempo, Eleganz, Schwung und Akrobatik. Sehnsüchte, Träume werden wie schwerelos durch den Raum getragen. Und immer ist da Kommunikation.
Die Braut fliegt auf den bärtigen Bräutigam zu. Er dreht sie, steht hinter ihr, neben ihr, vor ihr, um sie aufzufangen, wenn sie fällt. Die Braut tanzt mit dem kleinen Mann, übernimmt auch mal den normierten Herrenpart, fast ihn um die Taille, hebt ihn nach oben. Dann Paarwechsel. Dann wieder laufen alle vier gemeinsam über die Bühne. Der Tanz ist ein erleicherndes Zusammen. Keiner der einsam in der Ecke steht.
Die Braut weiß selbst nicht mehr, wer sie ist, wer sie einmal war. Zu sehr hat sie sich verändert in ihren Rollen, die sie immer wieder gespielt hat, sagt ihre Stimme aus dem Off. Die Braut dreht sich um sich selbst. Eine große philosophische Frage als Randnotiz. Trotzdem geht sie nicht verloren. Sie bleibt übrig. „Vor jeder Party entscheide ich, dass ich dieses Mal anders sein werde, dass ich ehrlich sein werde, und sagen werde, was ich denke“, sagt die Frau aus dem Off. Und setzt dann ein „Vielleicht bei der nächsten Party“ hinterher.
Und plötzlich ist die Party nur noch ein Synonym für Leben, für Orte, an denen Menschen zusammenkommen.
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