Kultur: Jack, the Feinripper
Matthias Schrei alias Die Blockflöte des Todes in der Waschhaus-Lounge
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Wie ein ausgewachsenes Kindergartenkind, das Identitätsmodelle aus Comics umgehend in die eigene Kleiderordnung umsetzt, sieht Matthias Schrei aus, als er am Dienstag die Bühne der Waschhaus-Lounge betritt: ein hellblaues Gymnastikhöschen über weißer langer Unterhose, um den Oberkörper flattert ein roter Umhang. Ein Superman in Playmobilästhetik. Als solcher springt die Blockflöte des Todes, wie er sich nennt, von der Bühne und gibt, solange das Mikrofonkabel reicht, den Punk im Highspeedmodus. Das dauert knapp zwei Minuten.
Zeit genug, um eine Ahnung zu bekommen, womit die Blockflöte aufwuchs: hanseatischer Anarchistenpunk mit einem gehörigen Schuss Goldene Zitronen. Die zahlreichen Gäste reagieren etwas verschreckt auf diese Referenz an die Kinderzimmervergangenheit. Hatte sich doch die Blockflöte mit ganz anderen Klängen in den letzten Wochen via Radio Fritz in die Herzen der Hörer gespielt: mit rührend unsentimentalen, liebevoll verzweifelten Weihnachtsliedern, die Matthias Schrei für Advent geschrieben hatte.
Aber Weihnachten ist vorbei. Somit gibt es noch andere Themen, die eine musikalische Referenz wert sind. Oder die einfach erzählt werden können. Komische Erfahrungsberichte etwa als Transatlantikreisender, steakessender Vegetarier, Tochtervater und polygamer Exfreund. Schrei weiß das in harmlos scheinende Reime zu packen, die das Monströse und Alptraumhafte der alltäglichen Nöte ins Groteske steigern und gleichzeitig als ertragbare Lebenslast erscheinen lassen. Mit einer lamentierenden Stimme, die den Stimmbruch noch nicht vergessen hat, singt er vom „Volkshochschulkurs in Suizid“ und den Krücken, die ihm als Beinamputierten beim „Mücken zerdrücken“ gute Dienste leisten, von unbezahlbaren Drogen durch fairen Handel und der großen Liebe, die nicht Tina, sondern dem Teddy galt. Dazu zupft er auf der immer wieder verstimmten Akustikgitarre virtuoser, als er zugeben möchte. Das klingt charmant und sympathisch kauzig. Um in die Kategorie der Liedermacher zu passen, ist die Blockflöte zu unernst, um an der Seite von Funny van Dannen bestehen zu können, zu unperfekt. Aber das ist gerade das Großartige.
Matthias Schrei hat ein hohes Maß an Selbstironie, die seine Performance immer dann, wenn sie ins Alberne oder Zynische zu kippen droht, auffängt. Wer seine misslingenden Flirtversuche mit „Mädchenhaarallergie“ zu begründen weiß und Chlamydien popsongtauglich macht, verdient den Applaus, der nach knapp zwei Stunden Zugaben einfordert. Seine ästhetisch schmerzende Kostümierung am Konzertbeginn begründet Matthias Schrei übrigens mit einem Seitenhieb auf die Presse, die ihn als kalauernden Liedermacher fehlinterpretiere. Angemessener wäre doch mal ein Konzertbericht mit dem Titel: „Jack the Feinripper machte einen Abstecher nach Potsdam“.
So post er als pathetischer Held auf der Bühne, als gelte es, alle Erwartungshaltungen an einen Liederabend in einer einzigen absurden Geste zu bündeln, um sie damit zu beerdigen und stattdessen auf ganz eigene Weise dem Leben musikalisch zu trotzen. Gemeinsam mit dem Publikum. Lene Zade
Lene Zade
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