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Kultur: Jahreszeiten

Vivaldi-Cage-Projekt mit B’Rock im Nikolaisaal

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Der eine klangmalt mit Vogelgezwitscher, Donnergrollen und frierenden Pferden ein farbenfrohes Abbild der Jahreszeiten, der andere tummelt sich dagegen in fernöstlichen Philosophien, um dem Geheimnis von Erhaltung und Zerstörung, von Stillstand und Erneuerung auf die Spur zu kommen. Beide, der Barocker Antonio Vivaldi mit seinen zum Hit avancierten „Vier Jahreszeiten“ und der Klangpionier John Cage mit seinem weit weniger bekannten „String Quartet in four parts“, waren Avantgardisten: vereint im Geiste, jedoch getrennt durch Jahrhunderte. Könnten sich aus der Gegenüberstellung ihrer „Jahreszeiten“-Stücke nicht neue, faszinierende Gedankenverbindungen und Erkenntnisse gewinnen lassen?!

Das fragten und beantworteten sich auch die Musiker des flämischen Barockorchesters B’Rock, als sie sich an ihr Projekt „Die acht Jahreszeiten“ wagten. Dieses meteorologische Wunderwerk stellten sie nun im Rahmen der Nikolaisaalreihe „Klassik am Sonntag“ einem neugierigen Publikum vor. Dabei fanden sie in Moderator Clemens Goldberg einen hilfreichen Erläuterer von Zeit und ihrem unaufhaltsamen Fließen, von Werden und Vergehen, von Vivaldis Klangbeschwörung eines „jenseitigen Arkadiens“. Ein Denkstachel für all jene, denen der Tonsetzer über sein op. 8, dem die vier Jahreszeitenkonzerte entstammen, einst mitteilte: „Etwas Verrückteres könnt ihr nicht finden!“ Die B’Rocker nehmen’s für bare Münze. Unter Leitung des Cembalisten und Ensemblegründers Frank Agsteribbe gehen sie auf unglaublich lebendige, ja geradezu hemmungslos mitreißende Weise zur Sache.

Wie sich’s gehört beginnt alles im Vivaldi-„Frühling“. Gleichsam gähnend und dehnend reckt er sich aus dem Winterschlaf. Zögerlich setzt die Solovioline (Rodolfo Richter) ein, duettiert mit einer zweiten. Anschließendes Tutti verspricht sanft wogend liebliche Verheißungen – bis gefrorene Erde vehement aufzubrechen scheint. Plastischer geht es nimmer. Auch nicht beim lyrischen Geigengesang mit rabiaten Bratscheneinwürfen. Doch insgesamt wird homogen, spannend, natürlich vibratolos, instrumental in kleinstmöglicher Besetzung gespielt. Die Musiker kultivieren auch in den anderen Konzerten das Leise, zwingen das Publikum zum intensiven Zuhören, lassen es aber kontrastgerecht auch so richtig krachen. Gebannt lauscht man der ausdrucksvollen Intensität des Solisten, seinem glasklaren, emotionsberstenden Klang.

Die zarte Vivaldi-Poesie trägt sich anschließend in die ätherische Stimmung eines Sommers, mit der Cages „String Quartet“ anhebt, das Agsteribbe für Barockorchester arrangiert hat. Auch in den weiteren Parts wechseln Zeitdauer, sind ausgewählte Einzeltöne rhythmisch kalkuliert und zu Klangreihen konstruiert. Nach Cages Vorstellung wird vibratolos gespielt, er dadurch gleichsam durch die Barockbrille gesehen. Fremdartige Streicherfarben umschmeicheln das Ohr. Auf ihre Art assoziieren und kommentieren sie die traditionellen Jahreszeitenansichten. Im Wechsel von Vivaldi, durch unheimlich straffe Artikulation und atemberaubende Phrasierungen im Jungbrunnen gebadet, zu Cage geht das Vorhaben restlos auf, wenngleich Letzterer dem Altvorderen stets eine Etappe voraus ist. Doch so verzahnt sich, was zusammengehört. Nahtloser hätte es sein können, wenn durch entsprechende Spielaktion der Zeitfluss nicht durch Beifall nach jedem Vivaldi-Konzert und Cage-Satz unterbrochen worden wäre. Peter Buske

Peter Buske

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