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Kultur: Jazz und Klezmer

Das Leon Gurvitch Project auf der Suche nach dem „Eldorado“ im Foyer des Nikolaisaals

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Ein Land, in dem sich alles perfekt und ganz nach den eigenen Wünschen zusammensetzt – so vielleicht kann man „Eldorado“ übersetzen, dieses „vergoldete Land“ in Südamerika, das schon Musiker wie Leonard Bernstein oder Neil Young zu einem Stück inspiriert hat. Der russische Pianist, Dirigent, Bandleader und Komponist von Filmmusiken, Leon Gurvitch, beeinflusst von Klassik und Jazz, hat sich für ein komplettes Album mit dem Titel „Eldorado“ entschieden und die Lieder auf der Platte machen vielleicht deutlich, was ihm in der eigenen Musik, seinem Land der Träume, das er sich nach eigenen Wünschen zusammensetzt, besonders wichtig ist – eine stimmige Symbiose zwischen Jazz und Klezmer, zwischen Tradition und Improvisation.

Produziert wurde „Eldorado“ vom Label „morgenland“ der Berliner Jazzwerkstatt, die regelmaßig zu Konzerten in das Foyer im Nikolaisaal einlädt. „Eldorado“ ist die erste Produktion des Labels, der Einstieg in die Welt des Musikbusiness sozusagen, und darum war das Konzert von Leon Gurvitch Project am Donnerstagabend auch eine Potsdamer Record Release. Ein Konzert mit dem Künstler Leon Gurvitch und seiner Band, die allerdings nicht in der Originalbesetzung anwesend sein konnte. Lediglich Dimitri Christidis am Schlagzeug gehört zum Stamm der Formation. An der Trompete vertrat Christoph Tietz, am Bass Marco Chacom. Ein würdiger Ersatz, wie die kleine Zuschauergruppe schnell feststellen konnte.

Wortführer Gurvitch, der diszipliniert jeden Song ansagte, für „Agizn Parovoz“, „Back to Jerusalem“ oder seine Hommage an Marcel Reich Ranicki, „Mein Leben“, jeweils eine kleine Einführung lieferte, gab auch am Klavier fast ausschließlich die ersten Takte vor. Aber schnell wurde klar, dass die von ihm komponierten Stücke vor allem für die Trompete geschrieben sind. Diese übertrug am überzeugendsten die Verwischungen zwischen traditionellem Klezmer und diesem langgezogenen Klagen oder der lebensbejahenden Aufforderung zum Tanz, und den eingängigen, manchmal auch chaotischen und immer sehr kraftvollen Jazzmelodien. Fast collagenhaft wechselten sich die Stimmungen ab, fühlte man sich in den Osten versetzt und war Augenblicke später mitten in einer Jazzimprovisation, einer wahren Session. Christopher Tietz mit seiner wilden Lockenmähne, dem Dreitagebart und der beinahe schmerzhaften Hingabe in so manchen Ton, dem hingebungsvollen Wiegen in der Musik, wenn sein Instrument einmal Pause hatte, bildete ein charismatisches Zentrum und wurde nur noch vom Schlagzeuger übertroffen.

Dimitri Christides, ein augenscheinlich hochsensibler Musiker, hatte keine Chance gegen den selbst produzierten Rhythmus, der seinen etwas fülligen Körper förmlich hin und herzuschubsen schien. Die Takte und Töne entluden sich nicht nur stimmgewaltig auf seinem Instrument, sie schienen sich in dem Musiker selbst anzusammeln, bliesen seine Backen auf, ließen seine Zunge eilig hin- und herspringen.

Dies war ein wahres Schauspiel, das in krassem Kontrast zu dem Pianisten Leon Guvritch stand, der seine Körperspannung sehr gut unter Kontrolle behielt und sich in besonders emotionalen Momenten nur aufgeregt von den Tasten weg und dann wieder ganz nah zu ihnen hin bewegte, ein wenig wie ein Vogel, der nach Futter pickt, der aber auch lächelnd bei jedem Solo seiner Bandmitglieder innehielt, die Augen schloss und seinen eigenen Kreationen zwischen Jazz und Klezmer lauschte, die Bildhaftes und Dramatisches, Melancholisches und Chaotisches miteinander vereinte.

Andrea Schneider

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