zum Hauptinhalt

Kultur: Jeder Tod ein tiefer Schmerz

Filmporträt über Harald Poelchau / Abendsegen in St. Nikolai

Stand:

Filmporträt über Harald Poelchau / Abendsegen in St. Nikolai Mit einem Abendsegen in der Nikolaikirche fanden an Sonntagabend die Gedenkveranstaltungen für den vor 100 Jahren in Potsdam geborenen Pfarrer Harald Poelchau ihren Abschluss. Der Landespfarrer für Gefängnisseelsorge, Knuth Fischer, würdigte die unerschrockene Hilfe Poelchaus für Bedrängte und Verfolgte in der Nazizeit und den geistlichen Beistand, den er mehr als 1000 zum Tode Verurteilten vor ihrer Hinrichtung leistete. Dazu zitierte er aus dem autobiographischen Bericht „Die Ordnung der Bedrängten“ des Gefängnispfarrers von Tegel, für den jeder Tod ein tiefer Schmerz“ war. Diesen Ausspruch hat Irmgard von zur Mühlen auch als Titel für ihr Filmporträt gewählt, das vor dem Abendsegen im Filmmuseum gezeigt wurde. Darin ist sie den Lebensspuren Harald Poelchaus nachgegangen und hat sie in teils beklemmende Bilder umgesetzt. Der Besucher sieht die elenden Todeszellen, die makabren Hinrichtungsstätten mit Guillotine und Fleischerhaken zum Erhängen. Auch das Tor, durch das Poelchau vor der Vollstreckung von Todesurteilen das Brandenburger Zuchthaus betrat, rückt ins Blickfeld. Heute geht Pfarrer Fischer täglich hindurch – ohne den ungeheuren seelischen Druck, der auf seinem Vorgänger lastete. Irmgard von zur Mühlen zeigt aber auch den Tegeler Gefängnisgarten, einen Ort der Hoffnung, in denen Poelchau Gefangenen Stunden der Erholung und des vertrauten Gesprächs ermöglichte, sowie seine Wohnung im Wedding, in der er Flüchtlinge versteckte. Auf den weitgehend unbekannten Gefängnispfarrer und Widerständler ist die Filmautorin gestoßen, als sie für eine Dokumentation über die Männer des 20.Juli 1944 deren Witwen befragte. Ob Clarita von Trott zu Solz, Marion Yorck von Wartenburg, Freya Gräfin von Moltke – keine vergaß, den geistlichen Beistand, aber auch die praktische Hilfe Poelchaus zu erwähnen. Er schmuggelte Briefe, stellte Kontakte zu den Angehörigen her und brachte heimlich Lebensmittel mit. Für die jüdische Flüchtlinge, die er verbarg, mit gefälschten Papieren ausstattete – dazu hatte er aus einer ausgebombten Polizeiwache Dokumente, Stempel und Siegel „geborgen“ - und zu einer sicheren Unterkunft verhalf, steht in der Filmdokumentation Konrad Latte, der unter falschem Namen die Nazizeit überlebte. Eine Gesprächsrunde mit der Autorin, mit Knuth Fischer und Pfarrer i.R. Gerhard Violet vertiefte die Eindrücke des Films. Violet, der ab 1951 mit Poelchau als Sozial- und Industriepfarrer zusammengearbeitet hat, machte deutlich, wie lebenszugewandt und fröhlich Poelchau trotz seiner leidvollen Erfahrungen blieb. Freya von Moltke hat ihn einen „mozartischen Menschen“ genannt. Fischer sieht in ihm ein Vorbild, das sich für einen humanen Strafvollzug einsetzte: „Im Gefängnis begegnen uns heutige, nicht vergangene Menschen.“ Als angesichts der hohen Rückfallquote von Kriminellen der Sinn seiner Tätigkeit in Zweifel gezogen wurde, antwortete Poelchau, ein Pfleger wende sich auch nicht von seinem Patienten ab, wenn der erneut krank werde. Irmgard von zur Mühlen bedauerte, dass bisher alle Versuche vergeblich blieben, das Fernsehen für den 2001 gedrehten Film zu interessieren. Poelchau, wer kennt ihn schon, bringe „keine Quoten“, wurde ihr erklärt. Hoffnung gibt immerhin, dass eine gleichzeitig entstandene Dokumentation über das Schicksal des jüdischen Flüchtlings Konrad Latte inzwischen von einem dritten Programm angenommen wurde und demnächst gesendet werden soll. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })