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Kultur: „Jedes Konzert ist das erste“

Giora Feidman tritt heute im Nikolaisaal in einen Dialog mit Mozart. Auch Klezmer wird er spielen

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Der 70-jährige Klarinettist Giora Feidman ist für viele der Vater des Klezmer. Bekannt wurde Feidmans gefühlvoller Ton besonders durch die Filmmusiken zu „Jenseits der Stille“, „Comedian Harmonists“ und „Schindlers Liste“. In Potsdam gastiert der Oscarpreisträger heute um 20 Uhr im Nikolaisaal mit dem Programm „Dialog in Mozart“. Dabei wird er von Tänzern begleitet. Der zweite Teil des Abends ist dem Klezmer gewidmet.

Was bedeutet Ihnen persönlich Mozart als jemandem, der in Südamerika aufgewachsen ist, nach Israel ging und später nach Amerika?

Was bedeutet Wasser für den Menschen? Ohne Wasser kann man nicht leben. Dieser Mozart wurde von höheren Kräften gesendet, um diese Musik zu uns zu bringen. Wie beschreibt man diese Musik? Fantastisch, außergewöhnlich? Ich kann mir die menschliche Gesellschaft nicht vorstellen ohne Mozart.

Ist die klassische Musik, wie die Mozarts, tatsächlich eine Weltsprache, die überall gesprochen wird, auch in den arabischen Staaten?

Daniel Barenboim ging nach Ramallah und gab ein gefeiertes Konzert in der Universität. Mancher würde vielleicht sagen, ein Konzert für die Feinde. Und das Publikum hörte einen israelischen Solisten, also einen Feind. Daniel – ein guter Freund von mir – bewies durch Musik, dass es keine Feinde gibt. Es gibt nur eine Sprache, die wir Musik nennen, weil wir eine Familie sind, die wir Menschheit nennen. Wie heißt das deutsche Sprichwort: Wenn man singt, kann man nicht hassen.

Amoz Oz, der populäre israelische Autor, sagte kürzlich auf einer Preisverleihung, Humor würde vor Fundamentalismus bewahren. Gilt das auch für Musik?

Sicher. Musik ist so rein, dass selbst eine Verschmutzung in dieser Dimension sie nicht zerstören kann. Wenn eine Mutter mit ihrem Baby reden will, dann singt sie ihm etwas vor. Und singen nicht alle Mütter der Erde für ihre Kinder?

In Potsdam werden Sie Mozarts Klarinettenkonzert spielen. Sind nicht Musiker, die für ihre Musik leben und sterben, auch Fundamentalisten?

Nein, bitte, nein. Fundamentalisten sind Blinde. Mozart wurde immer beschrieben als ein Heiliger. Das war er nicht. Er hatte viele Probleme, wie wir sie auch heute kennen. Das Interessante ist an Mozart, was ich „Kanalisierung“ nenne. Musik, die wie in einem Kanal übermittelt wird, kann nicht von Wein oder Frauengeschichten beeinflusst werden.

Der Kanal ist das Mittel, um die Musik zum Zuhörer zu transportieren?

Wir besitzen ein „drittes Auge“. Und wenn die Menschen dieses kulturelle Auge öffnen, nutzen sie nicht die Sehnerven. Musik geht geradewegs hindurch. Dieser Kanal umgeht das Gehirn. Viele Menschen im Westen wissen gar nicht, dass dieses dritte Auge existiert.

Zunächst werden Sie Mozart spielen, nach der Pause Klezmer. Historisch völlig gegensätzlich. In welchem Verhältnis steht für Sie Musik und Macht?

Musik ist eine unglaubliche Macht. Aber was versteht man unter Macht? Die der Atombombe oder eine spirituelle Kraft, wie die Macht der Mutter, die zum ersten Mal für ihr Kind singt? Klezmer bedeutet auf Hebräisch einfach „Instrument des Liedes“. Wenn man die Natur des Klezmer wirklich verstanden hat, gibt es keinen Unterschied zu Mozart. Der Mensch hat eine natürliche Kraft, und das ist Singen und Tanzen. Das ist alles.

Sie sind berühmt für den gefühlvollen, tief berührenden Ton ihrer Klarinette. Was passiert in Ihrem Kopf, während Sie auf der Bühne stehen?

Ich wollte für das Programm unbedingt die Begleitung durch Tänzer, weil ich auf der Bühne immer fühle, dass Musik wie ein Tanz ist. Eine einzige Note ist ja schon ein Tanz. Ich sehe eine Welt, und einen See, darin reines Wasser. Er spiegelt, und nichts bewegt sich. Die Stille ist überwältigend.

Während Sie spielen, spüren Sie also Stille?

Auf der Bühne weiß ich selbst nicht, was aus meiner Klarinette heraus kommt. Ich bin auch Zuhörer. Ich muss etwas gestehen: Jedes Konzert ist immer das aller erste Konzert meines Lebens. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Und ich habe viele Konzerte gegeben. Ich bin immer sehr aufgeregt zu sehen, was ich spielen werde.

Gespräch: Matthias Hassenpflug

Restkarten für 25 € sind noch an der Abendkasse erhältlich.

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