Kultur: Jenseits des Gewohnten
Intersonanzen: Novitäten beim Klangfest für neue Musik im Alten Rathaus
Stand:
Kammermusik kompakt
Ob Cancan aus Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ oder das „Dies irae, dies illa“ aus Verdis „Missa da Requiem“ – in der Hölle geht es klanglich meist spannender zu als in himmlischen Gefilden. Auch in Pèter Köszeghys uraufgeführtem Stück „Ignis, Lux“ lodert kräftiges Feuer unterm Kessel, in welchem die zum Hören solcher und anderer Klänge Verdammten schmoren müssen. Mit dieser Hymne an Mephisto begann das erste Konzert am zweiten Tag des Brandenburgischen Festes der neuen Musik „intersonanzen“ im Theatersaal im Alten Rathaus. „KammerMusik kompakt“ verhieß das Angebot mit seinen zahlreichen Uraufführungen. In des Ungarns Novität gibt es höllisches Grunzen und höhnisches Grinsen auf Bassklarinette und Saxophon zu hören. Des Teufels Großvater meldet sich per Kontrabassklarinette zu Wort. Die vom Klavier angestachelten dissonanten Freudentänze enden im pianistischen Leerlauf. Ist“s das Fegefeuer, was uns Hörer als Ausweg bleibt?!
In der Kurzerläuterung seiner „Ostinato-Fantasie“ für Flöte, Violine, Violoncello und Klavier beklagt sich Hermann Keller über „geringe Aufführungsmöglichkeiten“ für aktuelle Musik. Sind an diesem unzweifelhaft unerfreulichen Zustand aber die Neutöner vielleicht nicht ganz unschuldig?! Die Ansammlung von Schrillem, Floskeln und nichts sagenden Klanggesten (so oder ähnlich schon seit vierzig Jahren gehört), extremen Intervallsprünge und schrägen „Sägearbeiten“ dürfte wohl eher etwas für Insider sein. Und so stellt sich einem erneut die Frage: Für wen schreiben die Avantgardisten eigentlich ihre Stücke? Die „intersonanzen“ erweisen sich als ein kleines und feines, jedoch nicht unbedingt repräsentatives Segment innerhalb der neuen Musikszene.
Kulturministerin Johanna Wanka sagte, dass die „intersonanzen“ nicht nur Facette, sondern sehr lebendig im Lande seien. Es werde auch künftig kontinuierlich gefördert. Weiter teilte sie mit, dass die Bundeskulturstiftung plane, nach dem Tanz nun auch die neue Musik zu unterstützen, denn „geringe Öffentlichkeit führt zu ihrem Nischendasein“.
Zurück zur anderen Seite der Medaille. Klangliche Lektionen über die physikalischen Eigenschaften von „Sand“ erteilt Helmut Zapf in seiner gleichnamigen Novität für Kammerensemble. Das nennt sich „ensemble mosaik“ und ist hier wie in den anderen Stücken mit Eifer bei der Sache. Ihn interessiere Form und Fließfähigkeit jedes Sandkorns, lässt der Komponist im Programmheft wissen. Wenigstens etwas, woran man sich beim Hören halten kann, ehe alles vom Winde verweht ist. „Elements at play“ heißt die etwas klangspröde Neuheit von Gisbert Näther, der vor melodischen Zutaten keinesfalls zurückschreckt, um etwas sagen zu wollen – und zu können! Es ließe sich auf den „frei, aber einsam“-Nenner bringen. Dass Ordnung letztendlich nur chaosstiftend ist, will Enno Poppe in seinem Ensemblestück „Salz“ mit Variationen von anschwellenden, lauter und schneller werdenden Klangwellen beweisen, die schließlich ins Geräuschhafte münden.
Doch auch beim zweiten Konzert des Abends, bestritten vom „modern art sextet“, wirkt das Komponierte reichlich bemüht und konstruiert. In Susanne Stelzenbachs „jagen.stille“ beispielsweise sind es deutlich voneinander abgesetzte Bewegungsformen, die sich später verzahnen, dann zerbröseln.
In Salvatore Sciarrinos „Lo spazio inverso“ sind es aneinander gereihte Momentaufnahmen von statischen Klängen. Minimelodien suchen Esoterik zu verbreiten, die letztlich nur Leere beschreibt. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig ist nicht nur sie.Peter Buske
Junge Filmmusiken der HFF
„Es gibt keine Kostprobe unserer sonstigen Arbeit", sagt Ulrich Reuter, Professor für Filmmusikkomposition an der HFF Babelsberg. Sonst üben sich die Studenten des Hauptfachstudiengangs Filmmusik darin, dem Gesamtkunstwerk Film zu dienen, sie fertigen Gebrauchsmusik und sollen eigene Interessen zurückstellen. Genau darum ging es nicht beim Fest der Neuen Musik „Intersonanzen“, wo die HFF-Filmmusikstudenten experimentelle Arbeiten präsentierten. Ausgangspunkt der sechs Versuchsanordnungen waren Fragen wie: „Was passiert, wenn ein Musiker Bilder schneidet?“ oder „Wie ist das Verhältnis zwischen Blickrichtung und Hörrichtung?". Jenseits von gewohnten Verfahren sollten mittels Experiment neue Wege beschritten werden. Das führte naturgemäß zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. Das „Trio Interaktiv“ bestehend aus Cello, Trompete und Video-Klavier gab den Ton bei kurzweiligen Filmsequenzen an. Bei ihrem flüssigen, substanziellen Spiel verschob sich die übliche Vorherrschaft des Bildes über den Ton.
Die spielerisch vor- und zurücklaufenden Filmbilder in unterschiedlichen Geschwindigkeiten folgten scheinbar ganz den Tönen der Musik. Auffällig in diesem wie in anderen Filmen, die Neigung zu abstrakten Bildern und reduzierter Farbpalette – stilistische Kategorien, die der flüchtigen, körperlosen Zeitkunst Musik entgegenkommen. Im Fragment „Wasser“ wurde die Fragestellung nicht deutlich. Eingespielte Geräusche, wie Wasserrauschen und Atemzüge, überlappten sich mit rudimentären O-Tönen vom Mikrofon – doch die spektakulären Bilder von Wasser und Eis behielten letztlich die Übermacht. Bravourös löste der Beitrag „Der Kaufakt“ die Aufgaben.
Ob hier die Bilder – verzerrt, vorwärts- und rückwärts gespult, voller Wiederholungen – wirklich der Musik folgten oder umgekehrt, war nicht eindeutig, aber letztlich egal, denn das Ergebnis überzeugte. Im minimalistischen, rhythmisierten Zug der Musik ruckte und brauste der Trabant durch die Gegend und trotzte selbst den schlechtesten Straßenverhältnissen. Babette Kaiserkern
Peter Buske
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