Kultur: Jenseits üblicher Konzertrituale Sasha-Waltz-Compagnie im Nikolaisaal
Normalerweise sieht man die Musiker entweder gar nicht, weil sie im Orchestergraben verschwinden, oder sie sitzen halbverborgen hinter ihren Notenständern. Doch bei der Sasha Waltz-Tanz-Compagnie ist alles anders.
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Normalerweise sieht man die Musiker entweder gar nicht, weil sie im Orchestergraben verschwinden, oder sie sitzen halbverborgen hinter ihren Notenständern. Doch bei der Sasha Waltz-Tanz-Compagnie ist alles anders. Auf der dunklen Bühne sitzt ein Mann mit einer großen Barocklaute. Er beginnt zu spielen. Langsam wird es heller und man sieht nun, dass dem Musiker als Sitzgelegenheit ein seitlich liegender Mensch dient. So ungewöhnlich wie der Beginn ist der gesamte Abend mit der Akademie für Alte Musik Berlin. Ihr bereits in Berlin uraufgeführtes choreographische Konzert „4 Elemente – 4 Jahreszeiten“ fand auch im ausverkauften Nikolaisaal ein begeistertes Publikum.
Zur Musik von Jean-Féry Rebels „Vier Elementen“ geht es noch relativ klassisch zu. Während die im Halbrund stehenden Instrumentalisten sich auf die Musik beschränken, wird aus dem Liegenden ein Mensch, der sich durch die vier Elemente der Welt tanzt. Amöbenartig windet sich der Tänzer Gabriel Galindez Cruz im Urchaos, das mit der vollen Wucht aller Töne der d-moll-Skala ertönt. So wenig innere Struktur wie die Musik, scheint auch der Tänzer zu haben, ohne ein Knochengerüst, mit seltsamen, ziellosen Bewegungen.
Erst als er im Einklang mit der Musik die Elemente entdeckt, entsteht so etwas wie Handlung, rudimentär und andeutungsweise. Erde, musikalisch von den Bässen markiert, rieselt aus seiner Tasche. Er findet das Feuer, das von „flammenden“ Läufen der Violinen angefacht wird. Er kreiselt und schwingt die Arme wie Windmühlenflügel im Sturm. Wie ein Kind springt und planscht er mit Wasser. Zur „Air pour l“Amour“ tanzt er mit dem Feuer, bricht in wild-verrückte Bewegungen aus, bevor er zum Liegen kommt. Die davongehenden Musiker bedecken ihn mit ihren Instrumenten. Ausgehend von der ursprünglichen Bezeichnung „Ballett-Suite“ gelangt die Sasha-Waltz-Kompagnie zu innovativen, in ihrer Kargheit beeindruckenden Bildern vom Werden und Vergehen.
Der Choreograph Juan Kruz Diaz Garaio Esnaola verantwortet auch die Verbildlichung von Antonio Vivaldis Konzertzyklus „Vier Jahreszeiten“. Winzige, witzige Requisiten wie grüne Blätter und rote Fäden von Mund zu Mund deuten die Inhalte mehr an, als dass sie sie bebildern. Die hier ohnehin schon vorhandene Mischung aus Musik und Text (in den Sonetten, die Vivaldi den Konzerte voranstellte) wird szenisch-tänzerisch gespiegelt. Dazu teilt der Konzertmeister Clemens-Maria Nuszbaumer die Akademie für Alte Musik in zwei kleine Streichorchester sowie eine Continuogruppe.
Die Streicher gehen, laufen, steigen auf Leitern, spielen im Stehen, Sitzen oder gar im Liegen. Ganz selbstverständlich fügt sich die wundervolle Violinsolistin Midori Seiler in das Treiben ein. Mal wird sie von den Streichern umkreist, mal „reitet“ sie auf dem Pferd/Tänzer zur Jagd, wird mit Geigenbögen aufgespießt und schließlich davongetragen. Herbstblätter fallen auf sie, Schnee rieselt, aber sie spielt einfach weiter, leuchtend und klar. Riesiger Applaus für dieses originelle, heitere Gesamtkunstwerk jenseits üblicher Konzertrituale. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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