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Kultur: Jesus für Agnostiker

Der ungläubige Mainzer Schriftsteller Christian Nürnberger las in der Französischen Kirche

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Frohe Botschaft ist zu künden. Wieder hat sich einer gefunden, die vom Zweifel arg benagten Kirchen auf den rechten Weg zurückzubringen – Kraft des Zweifelns. An Gott hat dieser studierte und dann abgefallene Theologe beträchtliche Zweifel, er besucht keinen Gottesdienst, betet nicht, feiert weder Weihnacht noch Ostern auf christliche Art, glaubt nicht an Wunder, Sakramente, an das Jüngste Gericht. Genau der richtige Mann für diese schwierige Zeit. Er nun, der als „bekennender Agnostiker“ nur an den Zweifel glaubt und an sich selbst, will die vielen verlorenen Schafe „der Kirche“ zurückgeben. Offenbar ist das viel leichter als gedacht, denn nach der Buchlesung „Jesus für Zweifler“, einem Gemeinschaftswerk von Stiftungsverlag und Reformierter Gemeinde in der Französischen Kirche, erntete Christian Nürnberger statt heftigen Widerspruchs viel Beifall und manche respektheischende Nachfrage.

Sogar die amtierende Pfarrerin des Hauses war sichtlich beeindruckt. Das große Interesse an einem so paradoxen Titel ist nicht einmal erstaunlich, schließlich ist der Zweifel ein Kind aus Europa. Fünfzig kamen, diesen Agnostiker zu hören.

Christian Nürnberger war in seiner Jugend etwas passiert, was man eigentlich niemandem wünscht, er hatte den von der Mutter sorgsam gepflanzten „Kinderglauben“ verloren. Ihn wiederzufinden, studierte er Theologie, aber er traf nur Lehrer, welche nach seiner Aussage selbst an nichts glaubten und also die besten Zweifler waren.

Nun machte er sich allein auf den Weg, schrieb ein Buch über die „christliche“ Art der Ökonomie, las Rudolf Bultmann, seit den Fünfzigern kanonisierter „Entmythologisierungsexperte“, welcher ihm den Weg endgültig freimachte „An Bultmann kommt heute keiner mehr vorbei“, so der ungläubige Mainzer. Auch er nicht.

Nun ist sein Ansatz sicher aufrichtig. Fragten ihn seine noch kleinen Kinder, ob denn wahr sei, was die Bibel erzählt, ob Jesus auf dem Wasser gehen konnte, so wollte er ihnen nichts vorlügen. Mit allen Zweifeln der Welt im Kopf, begann er, auf eigene Faust zu suchen, schrieb seine eigene Exegese, ungefähr dieser Gestalt: Seit Moses Zeiten seien die Israeliten „aufklärerisch und blasphemisch“ gewesen. Ihr langer Weg durch die Zeit sei als eine „Emanzipations- und Freiheitsgeschichte“ zu verstehen, was vom „gerechten und gütigen“ Gott auch so gewollt war. Den Exodus („Zentralmotiv der Bibel“) nannte Nürnberger „freiwillige Emanzipation aus der ägyptischen Knechtschaft“, Jahwe half da nur etwas mit. Mose sprach: „Ihr seid freie Wesen, entscheidet euch selbst“, und die Juden antworteten sogleich „Wir hauen ab!“ Auch was danach in der Wüste geschah, bucht der Autor unter „selbstgewählter Lebenslage“ Gott – er wollte die Frage nach ihm eigentlich „auf sich beruhen lassen“ – hat den Juden also die „Aufklärung“ gleichsam mitgegeben: „Israel entschied sich für die Freiheit!“ Seitdem „zittern die Herrschenden vor diesem Volk“. Wer das so nicht glaubt, kann ja im 2. Buch Mose nachlesen – da steht es ganz anders.

Auch sonst verbreitete dieser Häretiker viel Neues. Moses habe „vielleicht gar nicht gelebt“, der Bericht über die Gesetzestafeln („eine spätere Konstruktion“) auf dem Sinai, von Jesus und Paulus weitergetragen, verkünde die „universelle Idee von Freiheit und Gleichheit“. Deshalb auch die Kreuzigung: Das „Establishment war in Gefahr: Der Kerl muss weg!“

Bei Christian Nürnberger vollendet sich Israels Weg nicht etwa mit der Anerkennung Jesu als König der Juden. Alles erfülle sich, „wenn eine schwarze Kardinälin zum Papst gewählt wird“. Na, da hat man so seine Zweifel. Gerold Paul

Gerold Paul

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