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Kultur: Joja Wendt und sein Klavier im Nikolaisaal

Es ist ein schmaler Grat auf dem sich Joja Wendt bewegt. Aber mit welcher Sicherheit er das am Dienstagabend im Nikolaisaal tut, ist verblüffend.

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Es ist ein schmaler Grat auf dem sich Joja Wendt bewegt. Aber mit welcher Sicherheit er das am Dienstagabend im Nikolaisaal tut, ist verblüffend.

„Man müsste Klavier spielen können ...“ ist das Programm überschrieben, mit dem Joja Wendt derzeit durch die großen Städte des Landes tourt. Und wer den Pianisten aus Hamburg noch nicht kennt, dem wird beim Lesen dieses Titels der Verdacht überkommen, dass hier einer mit nicht allzu großer Ernsthaftigkeit sein musikalische Handwerk betreibt. Was nicht bedeutet, dass Joja Wendt so nur von eigenen spielerischen Defiziten ablenken will. Frei nach dem Motto: Reicht es nicht für die große Kunst, machen wir halt Comedy.

Joja Wendt beherrscht sein Instrument. Da lässt er im fast ausverkauften Nikolaisaal vom ersten Ton an keine Zweifel aufkommen. Aber genauso gut beherrscht er das Spiel mit dem Publikum. Tritt Joja Wendt auf die Bühne, dann nicht um für, sondern mit seinem Publikum zu spielen. Er schmiert ihm reichlich Honig ums Maul, um es dann und wann zu piesacken. Gerade in diesen Situationen kann die Stimmung sehr schnell kippen, wenn die Späße zu arg werden. Doch Joja Wendt bewegt sich leichtfüßig auf diesem schmalen Grat. Er agiert nach dem Prinzip: Zuckerbrot und Peitsche. Aber bei ihm bekommt das Publikum sehr viel Zuckerbrot und nur ein klein wenig die Peitsche zu spüren.

Sein Herz hat Wendt dem Boogie Woogie, Swing und Ragtime verschrieben. Und diese wilden, pulsierenden und kaum im Zaum des Rhythmus zu haltenden Biester kann man nicht einfach so vorspielen. Und so erzählt Joja Wendt viele Geschichten.

Fast jede Fremdkomposition, der er im Anschluss spielen wird, strotzt nur so von Schwierigkeiten, die bisher nur wenige gemeistert haben. Joja Wendt spart nicht mit großen Gesten. Im Grunde sei er der einzige, der diesen Stücken gewachsen ist.

Joja Wendt verkauft sein Publikum augenzwinkernd für dumm. Das hat sichtlich Freude daran. Und damit die hohe Kunst des Wendtschen Klavierspiels auch richtig in Szene gesetzt wird, hat der Künstler über der Tastatur eine Kamera installiert, die seine flinken Finger auf eine große Leinwand übertragen.

Lässt man all den Schabernack, die Finger auf der Leinwand, die gekonnt, ironische Selbstinszenierung für einen Moment unbeachtet und konzentriert sich an diesem Abend nur auf die Musik, gibt es genug einprägsamer Momente. Wenn Joja Wendt sich kurz in einige Jazzläufe verliert oder wenn er selbstvergessen sich in die Erinnerung an Auftritte in französischen Kirchen spielt, wird deutlich, dass hinter der Maske des Clowns ein großer Musiker steckt.

Dass das Publikum an diesem Abend ihren Joja bejubelte, ja förmlich liebte, darauf müsste eigentlich niemand mehr hinweisen. Es soll der Ordnung halber aber doch zumindest erwähnt werden.

Dirk Becker

Dirk Becker

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