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Von Peter Buske: Jubel um Flötenkönige und ihren Orchestertross

Barocke Klänge mit Emmanuel Pahud beim kleinen und großen Sinfoniekonzert im Nikolaisaal

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Neu in dieser „Junio(h)r“-Saison: Kind trägt Ohrwurm. Als Kopfring. Mit einem verschmitzten Wackelgesicht und langen Schneckenantennen. Putzig sieht er aus, dieser grünweiße Ohrling, den sich die wuselige Kinderschar im Foyer des Nikolaisaals am Samstagnachmittag unter fachmännischer Anleitung zusammenbaut. Wenige Schritte weiter sind die Kleinen eifrig mit der Herstellung einer dreirohrigen Panflöte beschäftigt. Die unterschiedlich langen Plastikröhrchen werden an einem Ende mit Knete verschlossen, dann mit Klebeband in Reihe gebracht und durch ein Querhölzchen mit einem Schnipsgummi fixiert. Fertig. Des Flötens ist fortan kein Ende, denn nun muss die Eigenproduktion ja sogleich ausprobiert werden. Ob man damit dem „Flötenkönig“, wie sich das neueste Programm der Kammerakademie im Rahmen ihres rühmenswerten Kinderprojekts nennt, imponieren kann? Vielleicht doch eher mit einem farbig ausgemalten Konterfei Ihrer Majestät, frisch gepresst als stolz getragener Button an Hemd oder Bluse?!

Spricht man in Potsdam vom Flötenkönig, so meint man damit – und das wissen bereits die Kinder – natürlich Friedrich den Zweiten, der auch, und das nicht mal schlecht, Flöte spielen konnte. Wie zum Beweis lässt Moderator Stephan Holzapfel Menzels berühmtes Gemälde „Flötenkonzert in Sanssouci“ in den fast vollständig besetzten Saal projizieren. Und „entdeckt“ ganz am Rande, schlecht zu sehen, den Flötenlehrer des Monarchen: Johann Joachim Quantz. Dessen G-Dur-Flötenkonzert gilt es kennenzulernen. Eigentlich sollte er, erfährt die Kinderschar und erwachsener Anhang, Hufschmied werden, um schließlich doch den Beruf des Notenschreibers und Flötenbauers zu erlernen. Unterdessen haben Musiker der Kammerakademie ihre Stehplätze eingenommen. Unter Leitung des am Cembalo ebenfalls stehend agierenden Dirigenten Trevor Pinnock beginnt die Reise in ein spannendes Klangland mit vielen Noten, zahllosen Dreiklängen, noch mehr Trillern. Doch wo bleibt die Hauptperson, der Flötist? Heftig bejubelt der Auftritt von Emmanuel Pahud, weltweit berühmter und am Solopult der Berliner Philharmoniker tätiger Flötenkönig. Was er am Instrument liebe? „Es trägt sich so leicht!“ Ernsthafter dann die Antwort auf Holzapfels Frage, dass das Blasrohr die Verlängerung des Atems sei – wie beim Singen: „Ich fühle mich frei, kann ausdrücken, was ich will.“

Gesagt, getan. Parlierend und musizierend geht es Erkenntnis gewinnend durch die drei Sätze, die dann jeweils komplett erklingen. Zwischendurch ermöglichen Kamerafahrten spannende Nahaufnahmen vom Klappen-Finger-Spiel Pahuds und dem Innenleben des Cembalo. Dann sind die Kinder mit ihren Panflötenbläsereien an der Reihe. Gaudi im Zuschauerraum und auf dem Podium. Für den dritten Satz hat sich der Moderator ein hübsches Sinn-Bild einfallen lassen: Spazierengehen im Park, mit einer Maus, die im Gebüsch raschelt und wegläuft. Nach knapp fünfzig Minuten hat der Ohrwurm seine Aufgabe erfüllt, werden alle Beteiligten wie Popstars gefeiert.

Stunden später übernehmen diese Aufgabe die Erwachsenen, denen beim ausverkauften 6. Sinfoniekonzert neben Werken von Benda, Haydn, Carl Philipp Emanuel Bach auch Quantzens Flötenköstlichkeit ohrwurmgleich die Sinne erfreut. Und wieder überwältigt Emmanuel Pahuds technische Perfektion, sein leichter und butterweicher Ansatz, der leuchtende Glanz seines sinnlichen Tons, seine überwältigende, weil auf die natürlichste Weise daherkommende Rhetorik. Mit schier unendlichem Atem erzeugt er eine schlackenlos schwingende Luftsäule. Den nachmittäglichen Wissensträgern fällt dann im dritten Satz sogleich die raschelnde und weglaufende Parkmaus ein. Nicht weniger rühmlich die Wiedergabe des e-Moll-Flötenkonzerts von Franz Benda, der nach Quantzens Tod (1773) zum musikalischen Berater Friedrichs avanciert. Spannungsvolle Dialoge zwischen Solostimme und Streicher beherrschen das musikalische Geschehen, in dessen Verlauf im Adagiosatz geradezu beschwörende Traumgestalten zu vernehmen sind. Blastechnische Ansätze wie aus dem Nichts und Klänge im philharmonischen Edelsound machen auch hier über die Maßen staunen.

Die Leidenschaften zu erregen und auf das Heftigste zu kontrastieren, haben sich gleichfalls die Kammerakademie und Trevor Pinnock, einer der Urväter historisch orientierter Musizierausübung, auf ihre Fahnen geschrieben. Carl Philipp Emanuel Bachs D-Dur-Sinfonie profitiert durch geschärfte Klänge und temporasantes Erforschen der Satzverläufe genauso davon wie Joseph Haydns einleitend erklingende Ouvertüre zur Oper „L’anima del filosofo“. Akzentuierter Vibratogebrauch, schnelle Tempi, Präzision und Lebendigkeit, unvermittelte Ausbrüche und dynamische Extreme bestimmen abschließend auch die Deutung seiner „Oxford“-Sinfonie Nr. 92 G-Dur. Im gleichsam kurz angebundenen Redetonfall, vor Spannung und Temperament fast berstend, kann sich Orchesterglanz mit Ausdrucksintensität aufs Vorzüglichste verbinden.

Peter Buske

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