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Keimzeit spielten am Freitag im Lindenpark.

© Olli Köhler

Sie können nicht aufhören: Keimzeit spielen sich durch 40 Jahre Bandgeschichte

Im Potsdamer Lindenpark zeigte die Band bei ihrem Jubiläumskonzert keine Spur von Alterserscheinungen - und kündigte weitere Alben an.

Von Oliver Köhler

Stand:

Es gibt Bands, die sind nicht mehr wegzudenken. Keimzeit gehört definitiv dazu: Wer es in den vergangenen Dekaden nicht geschafft hat, Keimzeit wenigstens einmal live zu sehen, ist entweder kein echter Brandenburger oder hat die Band aktiv verweigert. Immerhin 40 Jahre steht die Band um Norbert Leisegang nun unter dem Namen Keimzeit auf der Bühne – und hat sich zu einem zeitlosen Klassiker entwickelt, der mit einer treuen Fangemeinde rechnen kann.

So auch am Freitagabend im Potsdamer Lindenpark, wo dieses Jubiläum mit einem wohlig-wunderbaren Konzert gefeiert wurde, das sich wie eine familiäre Retrospektive anfühlte. „Das könnte ein schöner Tag werden“ klang gleich als Opener in das gut besuchte Konzert, und da war man sich sofort der Überflüssigkeit des Konjunktivs bewusst.

Wir können nicht aufhören und werden auch immer wieder neue Alben aufnehmen.

Keimzeit-Sänger Norbert Leisegang

Nun gab es aber neben soliden Konzerten wie etwa 2013 in der Reithalle auch diese Momente, in denen die Band gealtert schien, fast ein wenig müde, wie etwa zum Konzert auf dem Pfingstberg vor fünf Jahren. Doch wer Keimzeit bereits da einen Abgesang andichtete, irrte gewaltig. Im Lindenpark jedenfalls gab es von Alterserscheinungen keine Spur: „Wir können nicht aufhören und werden auch immer wieder neue Alben aufnehmen“, teilte Sänger Leisegang gleich zu Anfang dem jubelnden Publikum mit. Bitte, unbedingt!

Mehr als 20 Alben

40 Jahre Bandgeschichte, das sind mehr als 20 Alben. Das jüngste davon ist unter dem Titel „Kein Fiasko“ gerade erst erschienen, der Titelsong ein pianolastiges, beschwörend-zirkulierendes Liebeslied. Sänger Norbert Leisegang singt es mit der ihm eigenen nachdenklichen Sexiness, die er immer wieder durch sein zahnreiches Grinsen unterstreicht.

Verzückt, beschwingt – und mit der unnachahmlichen Kehligkeit seiner Stimme. Beeindruckend, wie die Ende der 70er Jahre gegründete Band immer noch ihre Zeitlosigkeit zelebriert. Und doch wird es keine austauschbare Best-of-Show, kein Zurücklehnen in der Retrospektive, kein wahlloses Abfeiern der alten 80er und 90er.

Keimzeit haben ihre Besetzung immer wieder geändert.

© Bernd Brundert/Promo

Weil ein Song wie „Flugzeug ohne Räder“ – immerhin 1990 auf dem Durchbruchsalbum „Irrenhaus“ veröffentlicht und mit der unverwechselbaren Refrainzeile „Sie haben den Schritt in die Realität verpasst“ – auch auf einem aktuellen Album auftauchen könnte. Dabei haben gerade diese Songs die Wendezeit skizziert wie keine anderen: „Irre ins Irrenhaus, die Schlauen ins Parlament. Selber schuld daran, wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt“ treffen heute noch ins Mark.

Keine Brüche mit der Vergangenheit

Auch wenn sich Keimzeit in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder umbesetzt haben und von den fünf Gründungs-Geschwistern lediglich Bassist Hartmut Leisegang neben seinem Bruder Norbert erhalten blieb: Von Brüchen mit der Vergangenheit ist dennoch nichts zu spüren, lediglich Wehmut. An Ulle Sender und Ralf Benschu müsse er immer noch denken, wenn er Songs schreibe, erzählt Norbert Leisegang. Und schiebt grinsend „Ratten“ hinterher: „So eine lausige Ratte wie du ist mir noch niemals über den Weg gelaufen.“

Zweieinhalb Stunden werden es, und es scheint nichts zu fehlen, vom tieflyrischen „So“ über „Maggie“ in einer leichtfüßigen Easy-Listening-Version bis zum tausendfach ausgekauten „Kling-Klang“, das einem dennoch keine andere Wahl lässt als lauthals mitzusingen -  besser konnte man es nicht machen. Und dann gibt es doch noch eine Botschaft an die jungen Leute, die vom Alterssitz gemacht wird: „Gründet Bands! Werdet Musiker!“ Es muss ja irgendwie weitergehen – auch wenn es Keimzeit hoffentlich noch ewig geben wird.

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