Kultur: Jugendfrisch und ausdrucksstark
Die Ballettakademie Krasnojarsk gastierte mit dem „Nussknacker“ im Potsdamer Nikolaisaal
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„Wie leide ich Sehnsucht“, seufzte der dänische Märchenpoet Hans Christian Andersen, „wäre es doch Weihnachten.“ Nun ist es ja bald soweit und dann hat das Warten ein Ende. Damit die Wartezeit rasch vergehe, hatte der Nikolaisaal großen und kleinen Freunden des klassischen Tanzes am Freitag in zwei ausverkauften, begeistert aufgenommenen Vorstellungen wieder einmal Peter Tschaikowskis Märchenballett „Der Nussknacker“ unter den imaginären Weihnachtsbaum gelegt. Als Gabenüberbringer waren diesmal Eleven und Absolventenanwärter der Russischen Staatlichen Ballettakademie Krasnojarsk auserkoren.
Auch ihnen stellte der Nikolaisaal, wie schon bisherigen ballettakademischen Gästen aus Minsk, Perm oder Ufa, ein stählernes, schwarz verhangenes Grundgerüst zur Verfügung. In das brauchten die sibirischen Gäste nur noch ihre plüschig bunt bemalten Hintergrundprospekte einzuhängen. Für die erforderliche weihnachtliche Stimmung sorgten auch die farbenbunten Biedermeierkostüme. So ließ sich ohne große Schwierigkeit in eine deutsche Kleinstadt des 19. Jahrhunderts hineinträumen, wo Kinder im Hause von Onkel Drosselmeier auf die Bescherung am plakativ gemalten Weihnachtsbaum warten. Erwartungsfroh tanzen sie sich an der Hand ihrer Eltern an den Ort der Geschenkübergabe vor. Kinder tanzen Kinder: das verschafft auch diesmal wieder der märchenhaften Geschichte um Nussknacker und Mäusekönig – nach der Erzählung von E.T.A. Hoffmann – eine enorme Ausstrahlung, Frische und Lebendigkeit.
Und auch die solistischen Semi-Erwachsenen verfügen über eine enorme Bühnenpräsenz und vorzügliche Technik. Grundlage ist ihnen dabei das klassisch-akademische Exzercise, wie es seit alters her an den Balletthochburgen von Moskau und St. Petersburg gelehrt und gelernt wird. Doch bei aller Zurschaustellung des beherrschten Formenkanons erzählen die Krasnojarsker Tänzerinnen und Tänzer die Handlung lebendig und ausdrucksstark. Dabei bedienen sie sich, ganz Traditionsbewahrer, der Originalchoreographie von Marius Petipa und Wassili Wainonen. In ihr geht es stimmungsvoll und anmutig, glaubhaft und realistisch zu: auf Spitze oder nur mit Fußsohle, mit beeindruckenden Luftsprüngen, kraftvollen Hebungen, sicheren Drehungen, charmanten Attitüden, akrobatischen Mäusekriegern kontra kavalleristischer und infanteristischer Nussknackerschwadron
Nachdem sich die kleine Maria in ihr Märchenland geträumt hat, verwandelt sie sich in eine Prinzessin, ihr geliebter Nussknacker in einen schönen Prinzen. Ihr ausstrahlungsstarker Pas de deux begeistert dabei genauso wie die sich anschließende Parade von Nummernhits.
Einem in seinem Solo sprungsicheren Harlekin folgt ein geschmeidiger Tanz der Rohrflöten, dem ein quirlig aufgedrehter Chinesischer Tanz folgt, wobei das Paar wie aufgedrehte Spieldosenfiguren über die Bühne hüpft. Ein feurig gestampfter Trepak, der elegant schwingende „Blumenwalzer“ durch das pastellfarbig gekleidete Corps de ballet sind spontan akklamierte Höhepunkte des 2. Aktes. Er endet mit einem TV-gerechten Schlusstableau. Dass Marie wieder aus ihrem Traum erwacht und in die Realität zurückfindet, bleibt uns die Ballettakademie leider schuldig. Ein Wermutstropfen auch, dass die Musik wie eh und je als Tonkonserve aus ohrenunfreundlichen Lautsprecherboxen plärrt. Peter Buske
Peter Buske
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