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Kultur: Jung und wertekonservativ

Die Buchhandlung „Sputnik“ in ihrem vierten Jahr. Ein Besuch

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Man läuft meist vorbei an diesen noch unrenovierten Häusern in der Charlottenstraße. Da gibt es die mit verschlissenem Mobiliar ausgestattete „Olga“ und direkt daneben den ebenfalls „antibürgerlichen“ Buchladen „Sputnik“. Der Eingang wirkt zwar zugestellt, aber die beiden Türen links und rechts lassen den Neugierigen dann doch einen Blick erhaschen über den gemütlichen Raum mit seinen Bücherregalen. Und oben, ganz oben thront ein Kosmonaut im silbrig glänzenden Anzug. Leicht schräg lehnt er an der Wand, und demonstriert eine der vielen möglichen Ausdeutungen zu dem Namen „Sputnik“, mit dem plötzlich alle einverstanden waren damals, als eine kleine Gruppe Sinnsuchender sich aufs Bücherverkaufen spezialisierte.

„Sozialkritisch, global und subversiv“ lautet die auf Schlagworte und den gemeinsamen Nenner gebrachte Ideologie des „Kollektivs", das sich, weitgehend ehrenamtlich, jetzt schon seit dreieinhalb Jahren um ein anderes Buchsortiment für die Landeshauptstadt bemüht. Wer nun radikale Aggressivität erwartet, wird positiv enttäuscht: Es gibt zwar eine Funken sprühende Nähmaschine, die aber, so lautet die Auskunft, sei ein Weihnachtsgeschenk und keine subversive Terrormaschine. Manche Handarbeitsunterrichtsgeschädigte mögen zwar anders darüber denken und sich lieber den Büchern zuwenden: Aber politische Scheuklappen scheinen hier genauso wenig zu herrschen wie klischiertes Geschlechterdenken. Freundlich und gesprächsbereit sind die beiden jungen Männer, die zum Entstehen dieses Ladens beigetragen haben. Uwe Sonnenberg, der Politik und Geschichte studiert und Mario Parade, Physikstudent, sitzen entspannt in den roten Sesselchen und posieren sogar für den Fotografen.

Die kleine Sitzgruppe besteht aus alten Filmtheaterstühlen, die um ein Tischlein gruppiert sind. Hier kann man in den Büchern, die im „Sputnik“" angeboten werden, stöbern, einen Wintertee trinken oder vor dem Flackerschein des Bullerofens einfach auch nur mit jemandem über Literatur, Theorien und alternatives Leben sprechen. Vor allem für Leser, die sich für gesellschaftskritische Themen interessieren, bieten die jungen Gesellschafter der 2002 gegründeten GbR viel Auswahl, die sonst nirgendwo in Potsdam so zu finden ist: Da steht Bourdieu neben Luhmann, es gibt viele Bände zur Kapitalismuskritik, aber auch feine, manchmal „bleischwere“ Zeitschriften wie „Lettre International“ und eine kleine Auswahl an Gender-Theorien. Science-Fiction, Romane und Biographien runden das Angebot ab. Jeder Interessierte erhält aber, falls er seinen Literaturwunsch nicht sofort erfüllt bekommt, jedes Buch über Nacht, wie in anderen Buchläden auch.

Eine ganz normale Buchhandlung also? Gewiss nicht. Auffällig ist, dass alle „Turbobuchtitel“, also jene, deren Verkauf nur so flutscht, nicht ausliegen. Im Jahr 2001 setzten sich die vier Gesellschafter, die aus unterschiedlichen Richtungen linker Politikbewegungen kommen, zusammen, und beschlossen, ab jetzt Bewusstseinsarbeit zu leisten. Sie befanden, dass das über das Medium Buch am besten möglich sei, was sie aber nicht daran hindert, ihren Laden auch als Treffpunkt für Organisationen und Veranstaltungen wie z.B. den „Off-Film-Tagen“ zur Verfügung zu stellen und dazu gleich passend einige Bände filmwissenschaftlicher Literatur zu präsentieren.

Wer meint, es handele sich um unreflektierte Spontis, die auch mal eine Buchhandlung ausprobieren wollten, der irrt. Die Gründer sind allesamt reflektierter als üblich, sie wissen genau, was sie tun und auch, was sie wollen. Das artikuliert sich wie häufig und verständlicher Weise zunächst darin, was sie nicht wollen. Sie wollen nicht teilhaben an der allein auf Konsum und Unterhaltung orientierten Gesellschaft. Wenn von Wertekonservatismus die Rede ist, paradoxerweise ist er hier zu finden. Es überrascht nicht wirklich, dass die inzwischen sechs Aktiven bei einem solchen Antikonzept nicht einmal das Geld für ihre Krankenversicherung verdienen.

Ihr Engagement ist nicht auf den Buchladen reduziert. Es dehnt sich auf alle Lebensbereiche aus: Gemeinschaftliches Wohnen, Kinderbetreuung, Hausverwaltungsarbeit, entsprechend sorgfältig ausgewählte Studien. Das ist wahres bürgerliches Engagement. Und auch, wenn man nicht alle Ansichten dieser jungen Menschen teilt, man sollte ihnen eine Chance geben und sich selbst die Möglichkeit eröffnen, Einblick in andere Denkwelten zu erhalten. Diese reichen von Karl (dem großen) Marx bis zu Carola (der fitten) Stern.

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