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Kultur: Justus lächelt

Rätsel eines verloren geglaubten Ortes

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Rätsel eines verloren geglaubten Ortes Manchmal ist Potsdam zu eng. Immer die gleichen Wege, die gleichen Orte und die gleichen Worte. Wer nicht wie ein Goldfisch in seinem engen Glas enden will, den zieht es nach Berlin. Potsdam leidet oft an einem Überdeterminismus, unter dem jedes Café, einer sozialen Gruppe, jede Veranstaltung den Zielen ihrer kulturellen Träger und jeder Grashalm einem Weltkulturerbe untergeordnet wird. Kein Platz für das Changieren der Fantasie, für eine Kreativität, die auf Verunsicherung baut. Wo sollen sie denn herkommen, die Visionen? Es gibt sie dennoch, diese geheimen Räume, die ihren Zauber in dem Moment zu verlieren beginnen, in dem man ihn zu benennen versucht. Der magische Ort, von dem hier die Rede sein soll, wurde in Zeitungen bereits verleugnet. Ihn, so hieß es mit Bedauern, würde es nicht geben. Die auf Lebhaftigkeit und Kommunikation angewiesenen Angestellten des Betriebes würden ihn schmerzhaft vermissen. Eine schlichte Betriebskantine? Viel mehr, ein Ort, an dem berufsbedingt die Masken fallen, ein Ort hinter der Bühne, der gleichzeitig die Bühne der Welt ist. Man findet ihn, wo er nicht mehr sein sollte, was einen erheblichen nostalgischen Stoß bei allen bewirkt, die schöne Erinnerungen an die Zimmerstraße besitzen. Allein das Knarzen der Schwingtüren erzählt eine Menge über die Würde des Ortes. Vorbei an einer Gruppe von Blaumännern, die auf laubfroschgrünen Sesseln im Kreise ihre Mittagspause verrauchen. Draußen die Herbstsonne, die alte Linde, die Fenster sind geöffnet. Eine Atmosphäre wie in einem Landhaus an den norwegischen Fjorden, die Farbe der Bar ist „Lachs“. Am Fenster geht ein Pfeifenraucher seinen Text durch. Eine Sammlung von Zeitungsartikeln über Theateraufführungen und inspirierende blutrünstige Kriminalfälle hängt zur Lektüre aus. Der, der sich vor kurzem mit viel Mut in den Kopf gesetzt hatte, diesen vergessenen Ort aufleben zu lassen, heißt Justus und er lächelt wie Bhudda, wenn er die Teller füllt. Wraps mit Thunfisch oder Hackfleisch, oder Putenwürstchen, mit Kartoffelpüree und Blumenkohl. Jeden Tag etwas Neues, und Preise kann man das eigentlich gar nicht nennen. Justus sagt, er hätte im Grunde genug zu tun, und lächelt wieder. Hier geht es allen gut. Niemand will gerne Geheimnisse teilen. Zu einem Besuch schlüpft man am besten in die Rolle eines hungrigen Schauspielers oder Dramaturgen. Dann entdeckt man dieses Gemälde, auf dem die Silhouette eines Goldfisches durch ein Kugelglas rotiert und man ahnt: hier hat man es mit Wissenden zu tun. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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