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Kultur: Kalkulierte Willkür

Preisträger der 33. Sehsüchte / „Wie gewünscht“ mit zwei Preisen ausgezeichnet

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Preisträger der 33. Sehsüchte / „Wie gewünscht“ mit zwei Preisen ausgezeichnet Von Dirk Becker Die 33. Sehsüchte legten Wert auf Gelassenheit. Viele der etwa 150 Filme auf dem Internationalen Studentenfilmfestival, das gestern nach fünf Tagen mit der Preisverleihung endete, nahmen sich Zeit. Weniger der Knalleffekt, sondern eindringliche Bilder, ein manchmal fast schon penetranter Blick auf das Geschehen war den jungen Filmemachern wichtig. Nicht erklären, nicht eingreifen, einfach nur geschehen lassen, eine kalkulierte Willkür, der hier der Zuschauer bewusst ausgesetzt wurde. Er blieb dadurch nie außen vor, spürte eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber dem Geschehen auf der Leinwand, die eine Nähe und oft auch Intensität entstehen ließen, der man sich nur schwer entziehen konnte. So nimmt der 25minütige libanesische Spielfilm „Miracel“ von Georg Homsy, der mit dem Schnittpreis ausgezeichnet wurde, den Zuschauer mit in eine sterile, futuristische amerikanische Botschaft, um das Prozedere beim Visumantrag zu erleben. Viel passiert hier nicht, die Kamera ruht starr auf einer Gruppe unterschiedlichster Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen in die USA reisen wollen. Ihre manchmal nur schlecht überspielte Angespanntheit wird immer brüchiger, je länger die Kamera sie beobachtet. Auch „Isaac and Ellen“, mit dem 5000 Euro dotierten Spielfilmpreis und „Alles in Ordnung“, mit dem 2000 Euro dotierten Produzentenpreis ausgezeichnet, üben den gnadenlosen Blick. So hängt der Brite Michael Pearce in „Isaac and Ellen“ innerhalb von12 Minuten eine Episode an die andere, die es dem Zuschauer nicht immer leicht machen. Es geht um Isaac, einer dieser so genannten Problemjugendlichen, der Sozialstunden in einem Altenheim ableisten muss und dabei die stumme, scheinbar an einen Rollstuhl gefesselte Ellen kennen lernt. Beiden ist gemein, dass sie sich unverstanden fühlen. Worte werden kaum gewechselt, die Kamera in Einsteinscher Starre, verkommt das Altersheim zur Groteske, wird das Verhältnis zwischen Isaac und Ellen enger aber auch rätselhafter und findet, unspektakulär inszeniert, ein tödliches Ende. Marc Rensing beobachtet in „Alles in Ordnung“ fast 40 Minuten lang eine verkrachte Kleinfamilie in ihrer alltäglichen Tristesse. Rico will raus aus der Wohnung seiner Mutter, mit der er nicht mehr klar kommt. Rensing inszeniert hier ein sich im Kreis drehen zwischen zerbrochenen Beziehungen, zerbrochenen Träumen, kaputten Typen, in das ein Arbeitsunfall dieses scheinbare, äußerst fragile „Alles in Ordnung“ fast zusammenbrechen lässt. Auch „Bar ma victorii“, mit dem Dokumentarfilmpreis und „A Àrea – Das Gebiet“, mit dem 2500 Euro dotierten Preis gegen Ausgrenzung ausgezeichnet, bleiben im Bannkreis von sozialen und gesellschaftlichen Problemen. Leszek Dawid erzählt in „Bar ma victorii“ eine Stunde lang von den beiden arbeitslosen Polen Marek und Piotrek, denen die EU als die große Verheißung erscheint. In der 95minütigen deutsch-brasilianischen Gemeinschaftsproduktion „A Àrea – Das Gebiet“ verfolgen Cristiano Civitillo und Mark Wittek den Kampf der Gemeinde Vila Brandao in Salvador da Bahia um ihre widerrechtlich errichteten Hütten. Ein Kampf, Arme gegen Reiche. Farbenfroh, verspielt und einfallsreich dann der Animationsfilm „Wie gewünscht“, der sowohl mit dem 2500 Euro dotierten Animationsfilmpreis als auch mit dem 5000 Euro dotierten Innovationspreis ausgezeichnet wurde. In nur 12 Minuten erzählt Anna Kalus das Märchen vom verwöhnten Prinzen und den berühmten drei Wünschen, in dem die Faustsche Formel vom „Augenblicke verweile doch, du bist so schön“, ganz neue Perspektiven eröffnet. Auch „Ich und das Universum“, mit dem 2500 Euro dotierten Nachwuchsfilmpreis bedacht, besticht durch Leichtigkeit. Innerhalb von 13 Minuten stellt Hajo Schomerus eine Stewardess, einen Baggerführer, einen Möbelhändler und einen Millionär vor, die scheinbar ganz banale Seiten ihres Daseins offenbaren. Der Publikumspreis im Wert von 2000 Euro ging in diesem Jahr an den Spielfilm „Diasphoria“ der israelischen Filmemacherin Yaron Shani, in dem sie vom inneren, verzweifelten Kampf der jungen Danielle berichtet. Und auch die nächsten Sehsüchten werfen schon ihre Schatten voraus, denn mit dem Drehbuchpreis wurden Nicolai Max Hahn für „Das Kartenhaus“ und Tonia Budelmann für „Das Lustprinzip“ ausgezeichnet. Vielleicht sieht man sie ja im nächsten Jahr wieder, wenn aus ihren Drehbüchern Filme geworden sind.

Dirk Becker

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