
© Göran Gnaudschun
Kultur: Kampf zwischen rund und eckig
„Para Dox“ ist ein philosophisch-kluges Stück für Kinder, bedient aber ein paar Rollenklischees
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Wie erschafft man niedliche Schnecken aus Licht? Oder eine ganz und gar makellose Welt in Pink, Gelb und Grün? Allein, so viel ist nach einer knappen Stunde klar, geht es jedenfalls nicht: „Para Dox und die Zahlenzücker“ von Paula Fünfeck, das am Donnerstag am Hans Otto Theater Premiere hatte, ist ein vielschichtiges Stück für Sechs- bis Zehnjährige. Dass man besser im Team als alleine arbeitet, ist dabei nur eine von vielen Weisheiten, die Regisseurin Marita Erxleben in eine witzgeladene Kinder-Philosophie-Show verpackt hat.
Vor dem Beginn der Welt steht auch hier das Chaos. Und für das Chaos, das bunte, ungeordnete, steht hier die Frau. In diesem Fall ist das Poudèl (Lea Willkowsky), die in ihrem roten Batikanzung auf die schiefe Ebene geworfen wird. Die ist das – bislang noch blanke – Zentrum. Weiß wie ein rohes Ei hat Alexandra Hahn (Bühne und Kostüm) gebaut, eingefasst von einer kleinen Verschalung. Poudèl also soll hier eine Welt erschaffen, sie ist Schöpfungsmeisterin. Aber wo anfangen?
Zum Glück – und ihrem großen Schrecken – platzt da Twart (León Schröder) in die Szene. Ein weiterer Schöpfungsmeister und das Gegenteil von Poudèl. Seine Arbeitshosen sind in dezentem, männlichem Blau gehalten, genau wie sein Hemd und seine Weste, ja sogar sein Käppi. Diese ausgelatschten Männlich-weiblich-Klischees ziehen sich leider fast komplett durch die sonst so kluge Inszenierung. Denn bei der farblichen Differenz – Rot für das Mädchen Poudèl, Blau für Twart – bleibt es nicht, sie spiegelt lediglich ihre Geschlechterrolle. Sie sind zwei, die erst einmal nicht miteinander können.
Zu klären wäre da zunächst die Frage, wer von beiden wen erschaffen hat. Da sie beide Schöpfungsmeister sind, wäre es doch möglich, dass der eine den anderen erschaffen hat? Schnell verwerfen sie die Idee, denn „etwas so wenig Gelungenes wie dich hätte ich nie erschaffen“, stellen sie fest. Den anderen sanft mit einem Tuch (Poudèl) oder etwas gröber mit einem Radiergummi (Twart) wieder auszulöschen klapp auch nicht. Einfach im Alleingang loskreieren aber auch nicht: Sie verheddern sich, straucheln – und während Twart noch hadert, schlägt Poudèl vor, ein Team zu bilden. Sie singt sich in Fahrt und ist schon dabei, Twart mitzureißen: Sie kleckert fröhlich rote und grüne Farbe auf die jungfräulich weiße Bühne, beginnt, sie mit ihrem ganzen Körper zu verreiben – bis Twart entsetzt dazwischengeht: „Das sieht ja aus wie aus der Biotonne gefischt!“
Für ihn jedoch muss alles seine Ordnung haben, „Symmetrie besiegst du nie, Unordnung wie hass ich sie“, schleudert er ihr entgegen. Warum er denn so auf gerade Linien steht, will sie von ihm wissen. „Die sind still“, antwortet er, nicht so laut wie sie. Poudèls ganzes Wesen, ihr Aussehen, ihr Geruch – alles findet er zu laut. „Du bist wie eine Blaskapelle für mein Gemüt“, ruft er verzweifelt. Und so witzig das Spiel mit den Gegensätzen bis dahin auch gewesen sein mag – an dieser Stelle wird es problematisch. Schließlich ist es genau das, was Mädchen seit Jahrhunderten zu hören bekommen: dass sie still und kooperativ und umgänglich zu sein haben. Nicht aufmucken, sich nicht durchsetzen. Immerhin bleibt sie rotzig-selbstbewusst, beharrt auf ihre Sicht der Dinge.
Schließlich hat das Schicksal ein Einsehen und schickt ihnen Piter Para van Dox (Peter Wagner), den intergalaktischen Zahlenmagier. Der Typ mit blaugetönter Einstein-Mähne und einem mit grünen Ziffern bestickten Frack stellt erst einmal eines klar: Ohne Mathematik läuft nichts. Ohne Mathematik können die beiden ja nicht einmal eine Kaffeemaschine konstruieren, ergo muss er, der Zahlenmeister, ohne sein Lebenselixier bleiben. Also treibt er sie an und das Dezimalrechnen in ihre Köpfe. „In eurer Vermessenheit habt ihr ganz vergessen, die Welt zu vermessen“, ruft er und lacht sich erst einmal über seinen eigenen Witz halb tot. Um seinen beiden Schülern dann doch noch den Sinn und Zweck des Zehnersystems begreiflich zu machen, kommen ihm Poudèls Blähungen gerade recht: Die müssen schließlich gebündelt werden. Blitzschnell lernt sie den Unterschied zwischen geraden und ungeraden Zahlen. Twart braucht ein bisschen länger – kommt dann aber mit einer so genialen Lösung um die Ecke, dass Para van Dox in eine Sinnkrise gerät. Für die beiden Schöpfungsmeister aber platzt da endlich der Knoten: Erst die Linie macht aus dem Nichts ein Etwas! Und so entwirft er Rechteck um Rechteck, die sie – begeistert von deren Harmonie – mit Kreisen ausfüllt. Am Ende schmücken sie die kahlen Bühnenränder mit bunten Tüchern, bis eine Art trautes Heim, eine kuschelige Wohlfühl-Höhle entsteht. So ganz ohne Kanten bleibt es dann aber nicht: Als Para van Dox ihnen zur Belohnung eine Torte schenkt, geht der Kampf zwischen den beiden schon wieder weiter.
Wieder am 16. 2. um 15 Uhr und am 17. 2. um 10 Uhr im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse
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