Kultur: Kantig und kontrastreich Der Pianist Tzimon Barto im Nikolaisaal
Die Musik hat im Vordergrund zu stehen, nicht der Interpret. Das Spiel als dienende Aufgabe, in dem der Künstler aufgehend verschwindet.
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Die Musik hat im Vordergrund zu stehen, nicht der Interpret. Das Spiel als dienende Aufgabe, in dem der Künstler aufgehend verschwindet. Doch nicht immer lässt sich diesem Grundsatz folgen. So auch nicht am Sonntag beim Auftritt von Tzimon Barto im Nikolaisaal zum Abschluss des „Alles Beethoven!“-Wochenendes. Dass der amerikanische Pianist eine ausgeprägte Vorliebe für das Hanteltraining hat, ist hinlänglich bekannt. Und wenn man ihm so muskelbepackt in seinem Smoking hinter der Bühne begegnen würde, ginge man davon aus, dass der 49-Jährige der Bodyguard, aber mit Sicherheit nicht der Star des Abends ist. Barto hat in seiner musikalischen Karriere alle Höhen und Tiefen durchschritten. Doch am härtesten hat ihn der frühe Tod seiner beiden Kinder getroffen. Wer mit diesem Wissen in eines seiner Konzerte geht, kann das nicht einfach ausblenden.
Mit Beethovens 23. Klaviersonate in F-Moll mit dem berühmten Beinamen „Appassionata“ eröffnete Barto vor fast ausverkauftem Haus den Abend. Seine Lesart, so wurde schnell deutlich, war kantig und kontrastreich, gelegentlich fast schon ruppig. Nicht den feinen, gedankenverlorenen, in sich gekehrten Pinselstrich bediente er, sondern die große, schwungvolle, expressionistische Geste. Das hatte gelegentlich etwas von einer Jagd, einem Ringen, wenn Barto mit kurzem und heftigem Schnauben die Tasten bearbeitete. Da ging es manchmal derart zur Sache, dass es im Flügel wild flirrte und in den eigenen Ohren arg klingelte. Klanglich war das oft im Grenzbereich, reizvoll aber im Gegensatz von heftigsten Fortissimo-Passagen und den Momenten, in denen Barto ein luftig-leichtes Pianissimo schuf. Und immer wieder musste man an ein früheres Interview von ihm denken, in dem er auf den Tod seiner Kinder angesprochen antwortete, dass er mit dem Wissen, nie mehr glücklich sein zu können, sämtliche Angst und Wut verloren habe und dementsprechend befreit Musik spiele, so spiele, wie er wolle.
Ähnlich kontrastreich und kantig wie die „Appassionata“ spielte Barto auch die folgende „Waldstein“-Sonate. Und auch wenn er gerade in den ruhigen zweiten Sätzen, hier vor allem im „Introduzione. Adagio molto“ der „Waldstein“-Sonate, größtes Gespür für die Feinheiten und die feinsten Klangfarben zeigte, vermisste man das, was der Pianist András Schiff so treffend über diese Sonaten gesagt hat: dass es viele Ähnlichkeiten zwischen ihnen gibt, entscheidend aber seien die Differenzen. Diese deutlicher herauszuarbeiten vermisste man in Bartos oft wild-leidenschaftlichem Spiel.
All das löste Tzimon Barto dann mit der abschließenden Sonate Nr.32 ein. Als würde der Amerikaner in dieser vorletzten Sonate aus Beethovens Feder, in der sich alles Schöne und Dramatische des Lebens in unübertroffener Brüchigkeit spiegelt, eine Art Entsprechung gefunden zu haben. Hier ließ er viel stärker in seinem kontrastbetonten Spiel die Zwischentöne aufleuchten und zeichnete behutsamer. Es schien, als würde sich Barto trotz seines Ich-mach-was-ich-will-Credos zum ersten Mal an diesem Abend demütig vor der Kunst Beethovens verneigen. Dirk Becker
Dirk Becker
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