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Kultur: Kants Galgen

Susan Neiman über Ethik der Religion und Rationalität im Fundamentalismus

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Susan Neiman über Ethik der Religion und Rationalität im Fundamentalismus Während in Berlin der Streit um die Einführung des „Werteunterrichts“ tobt, und sich die Kirchen mit dem rot-roten Senat scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen, stellte die Direktorin des Potsdamer Einstein Forums, Susan Neiman, die Frage nach der Ethik der Religion selbst. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Politik und Religion in der Moderne“ zog die Philosophin, auf Immanuel Kants Moralbegriff zurückgreifend, den Bogen vom Alten Testament zum gegenwärtigen religiösen Fundamentalismus. Anhand Kants Beispiel vom Galgen vorm Freudenhaus, der den potentiellen, willensschwachen Besucher davon abhalten kann, wirklich hinein zu gehen und der Frage, ob derselbe Mensch angesichts des Galgens auch dazu zu bringen sei, einen Unschuldigen angesichts der eigenen Bedrohung dem Henker zu überantworten, erläuterte Neiman Kants und mithin ihren eigenen Begriff von Ethik. Beispielhaft sieht sie das „herrlich vieldeutige“ Alte Testament, in dem Abraham bei der Zerstörung von Sodom mit der Entscheidung Gottes hadere, als er jedoch seinen Sohn opfern soll, dies schlicht hinnehme. Dies symbolisiert für Neiman die beiden möglichen Verhaltensweisen gegenüber geoffenbarter Religion – einfach nur hinnehmen oder darüber nachdenken. In dieser Vorstellung von Ethik spielt die Willensfreiheit, die dem Handelnden prinzipiell unterstellt wird, die tragende Rolle. Ebendiese Willensfreiheit sieht Neiman auch bei einem religiösen Fundamentalisten. Letztendlich hofft sie aufgrund dieses rationalen Kerns sogar auf eine mögliche Verständnisbasis mit Fundamentalisten, die letztendlich doch auch nur gegen eine immer mehr sinnentleerte Welt ihren – natürlich nicht zu rechtfertigenden – Kampf führten. Darin sieht sie gar eine gewisse Verbindung zu linken Utopisten. Nicht zuletzt deshalb hält sie die Religionskritik von Marx für verfehlt. Jede der drei großen westlichen Religionen habe, so Neiman, auch einen rationalistischen Zug ausgebildet, wodurch die Religion, als aktives „Fenster zur Transzendenz“, den Menschen prinzipiell keine Entscheidungen abnehme. Und so kam die Philosophin letztlich zu einem Plädoyer für eine „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Dieses kantische Projekt einer Religion, die auf Moral reduziert ist, brachte Neiman dann auch prompt die Kritik ein, die bereits Kant ereilte. Sie laufe Gefahr, so der Einwand, die Religion auf ihren rationalen Teil zu reduzieren, was ihr jedoch nicht gerecht werde. Diese Bedenken nicht vollkommen verwerfend konterte die Philosophin, dass sie versuche den gerade in Deutschland oft nur eindimensional gedachten Begriff von Vernunft gerade deshalb zu erweitern. Angesichts der weltpolitischen Lage, hegt die Kantianerin allerdings im Allgemeinen gesehen nur die vage Hoffnung, das „Schlimmste zu verhindern“. Moritz Reininghaus

Moritz Reininghaus

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