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Kultur: Karnevaleskes Treiben

Klänge „Aus Gorbatschows Heimat“ im Nikolaisaal

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Auch wenn er auf den symbolträchtigen Namen Gorbatschow hört, hat der russische Balalaika-Solist Andrej G. natürlich keine Kompositionen aus dem Repertoire des einstigen Politbüros gespielt, sondern klassische Werke für sein Instrument. Und zwar staunenswert vital, mit hinreißender Fingerfertigkeit. „Aus Gorbatschows Heimat“ nannte sich ein wenig anreißerisch das „Klassik am Sonntag“-Konzert mit den bestens aufgelegten Brandenburger Symphonikern unter Michael Helmrath im ausverkauften Nikolaisaal. Durchweg karnevalesk ging es dabei zu, klingend versteht sich, schließlich tobt gegenwärtig die Fünfte Jahreszeit durch die Landeshauptstadt. Worauf auch Moderator Clemens Goldberg bei seinen Informationen zu Stücken und Autoren immer wieder gern verwies.

Um in entsprechende Stimmung zu geraten, breitete sich eingangs das farbenreiche Ouvertürentableau zur Märchenoper „Ruslan und Ludmila“ von Michail Glinka aus. Wie ein Wirbelwind fegte sie durch den Saal, in ihrem Schwung und blechgepanzerter Umhüllung nicht nachlassend. Man liebte hierbei ein nahezu durchgängiges Forte bis Fortissimo: ein Knüller und Knaller für die Ohren. Mit wesentlich mehr Ruhe ließ sich anschließend Alexander Borodins tonmalerische „Steppenskizze aus Mittelasien“ hörend betrachten. Auf flirrendem Geigenteppich, Steppe rings umher assoziierend, entfaltete sich die auf dem Englischhorn elegisch und klangschön geblasene russische Volksliedmelodie. Breit strömte sie dahin. Dann erblühte exotisches Mittelasienflair, vermeinte man im Pizzicato von Kontrabässen und Celli den wiegenden Gang von Kamelen zu vernehmen. Als die Karawane der Wüstenschiffe entschwunden war, ertönte wieder die russische Melodie – nun von der Flöte lieblich angestimmt.

Endlich entbot Andrej Gorbatschow, der 1970 in Woronesh geboren wurde und an der berühmten Gnessin-Musikhochschule das Spiel der Balalaika nicht als Folklore-, sondern als Konzertinstrument studierte, Grüße aus seiner Heimat. Auf dem baulich und klanglich so unverwechselbaren Dreiecksinstrument, von dessen drei Saiten zwei im eingestrichenen e gestimmt sind und die andere in a1, spielte er mit dem g-Moll-Konzert von Nikolai Budaschkin (1910-1985) eines der konzertanten Standardwerke für Balalaika-Virtuosen. Und Gorbatschow enttäuschte nicht. Er spielte eine farbig instrumentierte, folkloristisch angereicherte, mit meisterhafter Bravour vorgetragene Gute-Laune-Musik. Dabei zupfte und schlug er (oftmals gleichzeitig) das tontechnisch verstärkte Instrument mit bloßen Fingerspitzen, ohne Plektrum: rasant in den Ecksätzen, vibratoreich, schwirrend, seufzend und jubilierend im genüsslich ausgekosteten Andante.

Als Zugabe reichte er die fingerbrecherische, von ihm arrangierte 24. Caprice von Niccolò Paganini, die einen Vorgeschmack auf die zum Abschluss erklingenden, gleichfalls von ihm bearbeiteten teufelsgeigerischen Bravourvariationen „Il Carnevale di Venezia“ über eine Canzonetta, deren Melodie hierzulande als „Mein Hut, der hat drei Ecken“ hinlänglich bekannt ist. Weidlich ausgekostetes Solistenfutter. Zuvor führte das Orchester in Tschaikowskys „Capriccio italien“ nicht weniger Virtuosenqualitäten vor. Helmraths Taktstock tanzte die Tarantella, vereinte loderndes südländischer Feuer mit russischer Seele, forderte zu präzisen Tuttischlägen auf, ließ den Hit nicht im Reißerischen untergehen. Stattdessen verlangte er seinen Musikern viel spielerische Eleganz und Geschmeidigkeit ab.Peter Buske

Peter Buske

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