Kultur: Kein Anecken
Bodo Wartke gastierte im Kutschstall-Ensemble
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Er ist ein Freund der gehobenen Kommunikation. Inhaltliche Kernaussagen, autobiografische Liebeslieder oder die ausführliche Erörterung der Toilettensituation gehen dem 1977 geborenen Liedermacher und Kabarettisten Bodo Wartke geschmeidig von der Zunge. Nur bei Thematiken unterhalb der Gürtellinie räumt er seiner Muttersprache ein Defizit ein. Sie ist ihm trotzdem ein Freund und darum bestreitet er sein aktuelles Programm „Achillesverse“, mit dem er am Sonntagabend im Potsdamer Kutschstallensemble zu Gast ist, überwiegend in Deutsch.
Seine autobiografischen Liebeslieder mit unterschiedlicher Kernaussage, abgelegt in mindestens fünf emotionalen Kategorien, füllten ungefähr zwei Stunden des Abends und wurden immer wieder mit Zwiegesprächen, Stepptanznummern oder live gelesenem Tagebucheintrag aufgelockert. Auch eine hübsche Begleitung fehlte nicht. Sonja Firker begleitete den Musiker zwischenzeitlich auf ihrer Geige und erfreute das immer wieder von Regengüssen behelligte Publikum mit ihrer sommerlichen Garderobe.
Das klingt jetzt erst einmal ganz unterhaltsam. War es ja auch. Aber irgendwie nicht mehr. Klar ist der Song über die visuell beglückende Freundin mit dem Chirurgenpapa witzig und die Frage nach dem „Was hat er, was ich nicht hab?“ manchmal existenziell. Aber reicht das, um einen Abend zu füllen? Ist das nicht irgendwie wie ein Stück Kuchen, das zwar lecker, aber nicht so richtig nachhaltig ist?
Er kann es doch! Das Stück „Believe in Steve“, das als Gospel vertont ist und die Religion der sogenannten Macianer aufs Korn nimmt, hat genau den richtigen Ton und wirft die Frage auf, was dem Song über die Ästethik der Nachkriegsarchitektur eigentlich fehlt, da man über den nicht so recht lachen kann.
Auch fehlt ein wenig die Dramaturgie an diesem Abend, denn die Liebeslieder, je nach Stimmungslage in Dur oder Moll angespielt, erfahren öfter mal eine Unterbrechung, die thematisch komplett vom Weg abkommt und die Frage aufwirft, was denn nun? Doch kein Abend voller Liebeslieder?
O.k., in den Tagebuchnotizen über einen Ausflug mit der Deutschen Bahn kann man sie vielleicht finden, die vielbesungene Zuneigung. Schließlich gewinnt in der stark überspitzten Geschichte der Hauptdarsteller Bodo, der für ein Ticket mit der Bahn tagelang vor deren Schaltern campiert und schließlich endlos lange Wochen und Jahre auf Deutschlands Schienen unterwegs ist, auf seiner Reise viele, viele Menschen lieb.
Trotzdem, dem jungen Künstler fehlt ein wenig das Format und vor allem der Mut, seine Position als Künstler zu nutzen und heißere Eisen anzufassen. Hier will einer gefallen und unterhalten, ohne anzuecken und singt darum lieber wieder Lieder über die Liebe. Wenn es sein muss, sogar auf Suaheli, Japanisch oder Klingonisch. Andrea Schneider
Andrea Schneider
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