Kultur: Kein Außerhalb, nur ein Drinnen
Punk im Rollstuhl: Sina Laschs Fotos im SEKIZ
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Leo ist Punk. Er ist 17 Jahre alt, geht aufs Internat, will Abitur machen, dann vielleicht eine Erzieherausbildung. Er mag Nudeln und Bier, er raucht, er wäscht nicht gerne ab, hat eine kleine Schwester, eine Mutter, die stolz auf ihn ist, und viel Humor. Und, ach ja, einen ständigen Gefährten hat Leo auch: seinen Rollstuhl.
„Ich will zeigen, dass Leo ein ganz normaler Jugendlicher ist, mit einem Lebensstil wie viele andere auch“, sagt Sina Lasch. Die 21-Jährige hat Leo drei Tage mit ihrer Kamera begleitet und fotografiert. Das Ergebnis dieser Reise in eine Normalität, die erst einmal fremd, dann aber erstaunlich vertraut scheint, ist jetzt in einer Ausstellung im Sekiz zu sehen.
Leo in der Straßenbahn, Leo beim Bier, Leo im Straßenverkehr: Es sind die alltäglichen Augenblicke, die Sina Lasch sich für ihre Porträts aussuchte. Und fast nebenbei kommen auch die Hürden, die Leos Alltag mit sich bringt, ins Bild. Da gibt es zum Beispiel eine Reihe mit dem Titel „Kampf mit der Treppe I-III“, die Leo beim schrittweisen Erklimmen einer Treppe ohne Rollstuhl zeigt. Auf den ersten beiden Fotos sieht man Leo, wie er sich mühevoll mit den Armen am Geländer nach oben zieht. Das Dritte dann der Triumph: Leo ist am oberen Ende angekommen, und lacht schelmisch in die Kamera. Als wollte er sagen: Bloß kein Mitleid, die olle Treppe konnte mich noch nie aufhalten.
Bloß kein Mitleid: das ist auch Sina Laschs Thema. Zwar will sie durchaus auf die Probleme hinweisen, die zu Leos Alltag gehören – zumal dann, wenn diese Probleme veränderbar sind. Die Schwierigkeiten mit den hohen Rampen der Potsdamer Straßenbahnen zum Beispiel. Dass die Stadt Millionen für die Combino-Bahnen ausgibt, und man als Rollstuhlfahrer teilweise dennoch 40 Minuten auf eine behindertengerechte Bahn warten muss, empört sie. Vor allem aber will Sina Lasch gegen die Idee angehen, dass, wer im Rollstuhl sitzt, bemitleidenswert ist.
Um wehleidige Blicke zu verhindern, sind die ausgestellten Bilder daher mit ironisierenden Untertiteln ausgestattet. Mit Ironie und Humor könne man die Leute einfach besser erreichen, sagt sie. „Abwaschfaul – ein weit verbreitetes Handicap unter Jugendlichen“ steht zum Beispiel unter einem Foto. Darauf zu sehen ist Leo beim beim Pastaessen aus dem Kochtopf.
Sina Lasch ist mit Leo und seiner Behinderung aufgewachsen: Sie ist seine Nichte. Willkürliche Kategorien wie „Normal“ oder „Unnormal“ standen für sie nie zur Debatte: „Oft findet man ja diesen Gegensatz von „außerhalb“ und „innerhalb“ der gesellschaftlichen Norm. Für mich gibt es kein Außerhalb. Für mich sind alle drin.“ Gerade deshalb interessiert Sina Lasch sich für Menschen, die von anderen als nicht normal abgestempelt werden: Menschen mit Behinderungen, Alte, Punks. Sie selbst sei schon oft wegen ihrer Piercings herablassend behandelt worden, erzählt sie. Sie weiß also, wie sich das „Außen“ anfühlt.
Das „Draußen“ führte sie auch zur Fotografie. In ihrem sozialen Jahr in Griechenland, wo sie mit behinderten Waisen arbeitete, konnte sie der Schönheit der Menschen einfach nicht widerstehen und fing an, sie zu fotografieren. Damals noch mit Wegwerf-Kameras. Dank der Kurt Burde Stiftung II, mit deren Hilfe die aktuelle Ausstellung zustande kam, hat sie jetzt eine eigene Kamera. Dennoch ist sie keine Künstlerin, sondern Laie – das müsse man betonen, um keine falschen Erwartungen zu wecken, sagt sie. Ihr ehrlicher, unsentimentaler Blick schafft aber Einblicke, die ein Profi kaum einfühlsamer hätte treffen können.
SEKIZ, Hermann-Elflein-Straße 11
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