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Kultur: Kein Folklorismus
Der Cellist Giovanni Sollima musizierte mit den Brandenburger Symphonikern im Nikolaisaal
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Gerade die Musik von Giuseppe Verdi hatte hierzulande keinen leichten Stand, befand sie sich doch stets im Schatten von Verdis germanischem Antipoden Richard Wagner. Umso schöner, dass im Jubiläumsjahr beider Komponisten auch dem Italiener gern gehuldigt wird. Wie sehr Verdi heute selbst außerhalb von Italien geschätzt wird, zeigte sich bei einer aktuellen Umfrage der Wochenzeitung „Die Zeit“. Auf die Gretchenfrage „Wagner oder Verdi“ nannten zehn europäische Opernintendanten zu Verdis Musik weitaus positivere Vokabeln.
Einen direkten Zugang zu den Herzen der Zuhörer findet Verdis Musik wohl immer und auf jeden Fall dann, wenn sie so hingebungsvoll und genau gespielt wird wie von den Brandenburger Symphonikern am Sonntagnachmittag im Nikolaisaal. Unter der Leitung von Michael Helmrath erklang viel Tanzmusik aus Oper und Film. Das Ballett-Divertissement „Die Jahreszeiten“ aus Verdis Oper „Die sizilianische Vesper“ verströmt nicht nur in der Winterszene ganz unverstellt Walzerseligkeit, Polka-Lustbarkeit und Geschwindmarsch-Frohsinn. Eine einsame Oboenmelodie leitet den Sommer ein und erinnert mit traumhaft-arkadischen Klangbildern nicht nur an den ländlichen Arbeitsstillstand zu dieser Jahreszeit.
Betriebsam und eifrig zeigt sich der Herbst mit Trommelwirbeln, Bläserfanfaren und knalligen Bandaklängen. Fast noch eindringlicher wirkt die Tanzsaalatmosphäre in Nino Rotas locker aufgereihten Stücken „Ballabili“ für den Film „Der Leopard“. Nun ohne fettes Blech, dafür mit einem herrlich trocken spielenden Pianisten kommen die brandenburgischen Streichinstrumente besser zur Geltung. Wie Reminiszenzen an eine versunkene Welt wirken die verträumten Melodien mit gleißenden Geigen und blühenden Klängen von Flöte, Oboe und Klarinette. Dass Giuseppe Verdi viele Opern geschrieben hat, 28 insgesamt, ist nicht unbekannt. Sein einziges Streichquartett ist dagegen eine Rarität. Ob es auch ein Kleinod ist, erschließt sich nicht so recht bei der Instrumentierung von Michael Helmrath. Aus den zwei Sätzen „Andantino“ und „Scherzo“ entstehen klangsatte, kräftig aufgetragene Werke in sinfonischen Ausmaßen.
Dass es anschließend etwas komplizierter für die Ohren wurde, bereitete dem aufgeschlossenen Publikum keine Probleme, wie sich am begeisterten Schlussbeifall zeigte. Leider hielt der ewig gleiche Moderator der Klassik am Sonntag es nicht für nötig, den Solisten, den italienischen Cellisten und Komponisten Giovanni Sollima, namentlich zu begrüßen und vorzustellen. Wie schön könnte es sein, nicht nur in Potsdam, wenn die Regeln der Höflichkeit oder besser noch der Gastfreundschaft etwas mehr gelten würden. Erst recht, wenn ein gestandener Künstler anreist, um dem hiesigen Publikum ein neues Werk zu präsentieren. Schließlich gehört der auf Sizilien geborene Sollima zu den renommiertesten Cellisten und Komponisten Italiens.
Im Nikolaisaal erklingen seine „Folktales“, ein Cellokonzert in vier ineinander übergehenden Sätzen. Mitten im erneut großformatig besetzten Orchester sitzen zwei Herren, deren Funktion erst später deutlich wird. An markanten Stellen klatschen sie kräftig rhythmisch in die Hände, rufen auch mal emphatisch. Wollte man das als bloßen Folklorismus abtun, täte man dem ambitionierten Werk unrecht. Vielmehr legt Sollima Klangschichten frei, um sie erneut zu kombinieren. Er sondiert in den Tiefen der Geschichte und des Klangraums und experimentiert mit weit offenen Formen. Energetische, virtuose Solo-Passagen auf dem wunderbaren Cello stehen in ständiger Zwiesprache mit dem hochkonzentrierten Orchester, das zwischen zartem Flimmern und urigem Vibrieren eine weite Skala von ungewohnten Tönen erzeugt. Dabei entstehen facettenreiche Klangräume eines ganz eigenen, uralten und zugleich modernen Kosmos der Klänge. Gebannt lauschen die Zuhörer und spenden jubelnden, sehr herzlichen Beifall, der schließlich mit einer Solo-Zugabe von Giovanni Sollima erwidert wird. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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