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Kultur: Kein Hendrix, keine Stones

Doch dafür Narkose-Blues für Johnny Cash beim East Blues Festival: Peewee Bluesgang, Engerling und Jürgen Kerth im Lindenpark

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Doch dafür Narkose-Blues für Johnny Cash beim East Blues Festival: Peewee Bluesgang, Engerling und Jürgen Kerth im Lindenpark Wenn Sauerländer Blues-Rocker die dienstälteste, boogie- und soulinfizierte Bluesband des Ostens in Form von vier „Engerlingen“ treffen, dann krachen die Dielen des Lindenparks von selbst. Überraschend schon, wie besonders die Peewee Bluesgang aus dem Städtchen Iserlohn östlich von Aachen beim 11. East Blues Festival die Potsdamer Szenerie förmlich elektrisierte. „Es wäre schön, wenn ihr mal ein bisschen vorkommt“, hatte Leadsänger Richard Hagel eingangs gefrozzelt, bevor die Band dann schon mit „Bad Bad Woman“ und dem Elvis-Song „In the Sky“ eine magische Stimmung verbreitete. Hagel, trotz seiner 55 Jahre ein einziges Energiebündel im Karl-Lagerfeld-Outlook, aber mit der Beweglichkeit eines Iggy Pop und der Stimmgewalt eines Eric Burdon, inszenierte mit seinen Mannen das perfekte „Power Play“. Ob mit handgemachten Songs wie „Going down the Road“, dem sentimentalen Ohrwurm „California“ oder diversen Anleihen bei B.B. King – diese Mischung aus Rock“n Roll, traditionellem Blues und einer leichten Brise Psychedelic fuhr einfach in Herz und Bauch. Wen kümmerte es da schon, wenn E-Gitarrist und Band-Vordenker Thomas Hesse auf seine legendäre Hendrix-Version „Hey Joe“ – in wilden Zeiten bis zu 15 Minuten zelebriert – einfach verzichtete. Dafür entschädigte Hesse im Lindenpark mit temperamentvollen E-Instrumentals, die in erstaunlicherweise mit dem Saxophon von „Special Guest“ Peter Schulte harmonierten. Mit diversen Rock“n“Roll-Einlagen und einem einheizenden „Everybody Get Down!“ zog „Peewees Bluesgang“ die nächtliche Session schon vor. Kein Wunder mehr, dass diese Heißsporne des Westens einst sogar im Vorprogramm von ZZ Top getourten hatten. Auch die geladenen Blueskünstler des Ostens geizten nicht mit ihren Erfahrungen jenseits des Großen Teiches. Der Einstieg zum diesjährigen Festival war der Erfurter Blues-Legende Jürgen Kerth vorbehalten, auch er ein Musiker mit engen Bezügen zu B.B. King. Und obwohl Kerths Stil daneben noch von Johnny Winter, Jimi Hendrix und Santana beeinflusst sein mag – sein Markenzeichen für die Fans im Osten bleibt der sensible, geradlinige Stil eines Ausnahmegitarristen mit Ausnahmetexten. Wenn Kerth mit „Helmut“ dem verlassenen Kumpel auf die Schulter klopft, mit „Geburtstag im Internat“ die allgemeine Entfremdung um uns herum beschreibt oder mit „Komm herein“ jedermanns Sehnsucht nach Geborgenheit illustriert, dann bleibt der Blues auch weiter unverzichtbares, tränentreibendes „Lebenselixier“. Natürlich hatte Kerth auch „Kansas City“ und „Get Back“ im Repertoire, wenngleich er – nach 10 langen Wintern in Miami – nun schon seit zwei Jahren nicht mehr in den Vereinigten Staaten aufgetreten ist. Im Interview hatte der Bluesmusiker bezweifelt, ob er sich bei der angespannten Sicherheitslage „drüben“ überhaupt wohlfühlen könne. Doch wie zu DDR-Zeiten auch, weiß der feinsinnige Kerth Musik und Politik zu trennen, ohne sich opportunistisch verbiegen zu müssen. „Es gibt nur gute Amerikaner, oder eben irregeführte Amerikaner“, kommentierte er von der Bühne, um gleich im Anschluss ein eher getragenes Gitarrenduo mit Sohnemann Stefan Kerth am Bass hinzulegen und mit dem Folgesong „Mit ihr zu leben“ das Liebesbekenntnis an seine Frau zu erneuern. Engerling, Ostberliner Blues-Wahrzeichen mit regelmäßiger Präsenz in Potsdam, legten erst im letzten Jahr eine gemeinsame Scheibe mit Mitch Ryder vor: „The old Man springs a Boner“. Im Lindenpark zogen sie nun wieder das Standardprogramm vom „Muschellied“ über „Tom Tomskis Blues“ bis hin zu „Mama Wilson“ vor – was der ausgelassenen Stimmung keinerlei Abbruch tat. Leadsänger Boddi Bodag beeindruckte mit Coverversionen von van Morrison und ließ sich auch diverse Harmonika-Einlagen nicht nehmen. Heiner Witte und Manne Pokrandt überzeugten in gewohnter Weise an Gitarre und Bass. Ein Ausflug zu den „Stones“ unterblieb an diesem denkwürdigen Abend, dafür aber erinnerten die „Engerlinge“ an einen ganz Großen, kürzlich Verstorbenen der „Country- und Westernszene“: Ihren immer wieder gewünschten „Narkose-Blues“ widmeten sie diesmal Johnny Cash, und nach einer langen instrumentalen Überleitung erklang schließlich dessen legendärer „Ring of Fire“ in einer ungewohnt langsamen, aber sehr getragenen Weise. Man wünschte sich, der gute alte Cash hätte von irgendwo her zuschauen können. Olaf Glöckner

Olaf Glöckner

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