Kultur: „Keine Frage von Verstehen, sondern Fühlen“
Gespräch mit dem Dirigenten Antonello Manacorda über Vorbehalte gegenüber modernen Komponisten
Stand:
Herr Manacorda, am Samstagabend spielen Sie zusammen mit der Kammerakademie neben Robert Schumann auch Stücke von Charles Ives und Arnold Schönberg. Zwei moderne Komponisten, die leider noch viel zu oft das Publikum abschrecken. Warum ein solches Risiko?
Sie haben Recht, da sind die Leute sehr zurückhaltend, weil sie Angst haben, sie verstehen diese Musik nicht. Aber das ist gar nicht wichtig.
Warum ist das nicht wichtig?
Es geht nicht darum, ob man versteht oder nicht. Das ist keine Frage von Verstehen, sondern von Fühlen. Jeder von uns kann fühlen und dadurch auch verstehen. Aber selbst wir als Orchester haben Angst, bestimmte Dinge in Kompositionen nicht zu verstehen.
Wie bitte?
Nehmen Sie „The Unanswered Question“ von Charles Ives, das wir am Samstag spielen. Das ist im Grunde eine Metapher für unsere Arbeit. Wir Musiker sind immer auf der Suche, stellen ständig Fragen an die Stücke, auch solche, auf die wir keine Antworten bekommen. Wenn wir in eine Partitur schauen oder ein Konzert spielen, sind wir immer auch auf der Suche nach Antworten, nach Verstehen.
Wobei es wahrscheinlich für Sie und Ihre Musiker einfacher ist, Werke von älteren Komponisten wie Haydn, Mozart, Beethoven, Bruckner oder Schumann zu verstehen als die oft sehr atonalen Stücke moderner Komponisten?
Nein, nein, für uns ist die Auseinandersetzung mit modernen Komponisten oft einfacher. Die sind uns einfach näher. Unsere Erfahrung ist auch, dass ein Publikum, das nicht so oft in klassische Konzerte geht, eher Schönberg als Schumann mag. Die sind gar nicht so erschrocken, wenn die Musik nicht tonal klingt, die Harmonien nicht dominieren.
Nun könnte man vermuten, dass Sie als Art Sicherheitsnetz Schumann in das Programm aufgenommen haben, dessen Sinfonie das Publikum wieder versöhnen soll.
Nein, überhaupt nicht. Diese drei Kompositionen von Schumann, Schönberg und Ives sind alle thematisch miteinander verbunden. Der Choral am Anfang von „The Unanswered Question“ hat etwas Fernes, wie von den Sternen, das sich auch in den Texten zu Schönbergs Streichquartett wiederfindet. Und das fragende Thema in „The Unanswered Question“ findet sich auch bei Schumanns Sinfonie wieder. Die Stücke von Ives und Schönberg sind zwar schwierig zu lesen, aber in ihrer musikalischen Sprache sehr direkt, weil sie auch ganz stark unsere Gefühle ansprechen.
Was viele, wenn sie Schönberg hören, eher bezweifeln werden.
Das mag für die späteren Kompositionen gelten. Die sind wirklich schwer. Aber wir spielen Schönbergs zweites Streichquartett in der Fassung für Sopran und Streichorchester, das er sehr früh geschrieben hat. Und das ist ein total impressionistisches Stück. Man könnte fast glauben, es stammt aus der Spätromantik. Dazu haben wir dann noch eine so herausragende Sängerin wie Christiane Oelze, eine der besten Sopranistinnen in Deutschland.
Und bei Ives Komposition „The Unanswered Question“?
Da wird es interessant. Denn „The Unanswered Question“ ist zur gleichen Zeit wie Schönbergs zweites Streichquartett entstanden. Aber im Gegensatz dazu ist es schon wahnsinnig experimentell. Es hat drei verschiedene Ebenen. Der wunderschöne Choral in C-Dur fast wie bei Bach, tonal und wunderbar anzuhören. Dieser Choral wird am Samstag von einem Streicher hinter der Bühne gespielt. Eine Illusion als wäre er unsichtbar. Auf diesen Choral reagiert eine Trompete fragend. Und diese Trompete kommt aus den Zuschauerreihen. Mit mir auf der Bühne stehen dann vier weitere Bläser, die verzweifelt versuchen, auf dieses Fragen zu antworten.
Also einfache szenische Elemente, mit denen Sie die übliche Orchester-auf-derBühne-Publikum-im-Saal-Konzertsituation durchbrechen. Ähnlich verfahren Sie auch bei dem Konzert am Nachmittag, das zusammen mit Potsdamer Schülern einstudiert wurde.
Ja, da wird das Ives-Stück gleich viermal gespielt. Einmal in der normalen Version wie später auch am Abend. Dann folgen die Versionen der Jugendlichen, die sie in den vergangenen Wochen und Monaten zusammen mit Musikern der Kammerakadmie erarbeitet haben.
Welche drei Versionen sind dabei entstanden?
Die Jugendlichen spielen und singen das Stück von Ives selbst, dann spielen sie es zusammen mit dem Publikum. Und zum Schluss spielen wir noch einmal die klassische Version und dazu läuft ein Film, den die Schüler gedreht haben. Eine wunderschöne Arbeit. Im Grunde empfiehlt es sich, sowohl das Konzert am Nachmittag als auch das am Abend mit der Sopranistin Christiane Oelze anzuschauen. Denn es werden verschiedene Interpretationen von Ives gespielt, durch die sich diese Komposition viel besser erschließt und gleichzeitig gezeigt wird, dass Musik eine universelle Sprache ist, die jeder verstehen kann.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Antonello Manacorda ist am Samstag, 13. März, zusammen mit der Kammerakademie um 16 und um 19.30 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11, zu erleben. Karten in der Ticket-Galerie des Nikolaisaals oder unter Tel.: (0331) 28 888 28
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