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ZUR PERSON: „Keine Hilbig-Memoiren“

Natascha Wodin stellt beim 13. Festival der Frauen ihren Roman „Nachtgeschwister“ vor

Stand:

Frau Wodin, wie viel Wirklichkeit verträgt ein Roman?

Unbegrenzt. Es geht nicht um die autobiografische Wirklichkeit, sondern um die literarische Qualität eines Textes.

Wenn Wirklichkeit also unbegrenzt in einen Roman einfließen kann, wie deutlich erkennbar kann oder darf diese Wirklichkeit dabei überhaupt sein?

Ich ahne schon, worauf Sie anspielen.

Auf die Figur des Jakob Stumm in Ihrem Roman „Nachtgeschwister“.

Ja, wer verbirgt sich wohl hinter Jakob Stumm?

Der Schriftsteller und Ihr früherer Ehemann Wolfgang Hilbig.

Das ist nicht falsch, aber ich muss betonen, dass ich keine Hilbig-Memoiren geschrieben habe, sondern einen Roman. Aber die Frage nach dem wirklichen Wolfgang Hilbig wird mir fast immer als erste gestellt.

Was nahe liegt, denn es ist nicht schwer Hilbig in der Figur des Schriftstellers Jakob Stumm zu erkennen.

Ich muss zugeben, dass ich anfangs ein bisschen naiv geglaubt habe, dass das wohl niemand erkennen wird. Aber es wurde sofort erkannt. Und wenn es einer erkannt hat, dann weiß es natürlich auch schon jeder. „Nachtgeschwister“ hat sehr viel mit meiner eigenen Geschichte zu tun, aber es handelt sich, wie schon gesagt, nicht um Hilbig-Momoiren. Mit dieser Lesart täte man Wolfgang Hilbig unrecht.

Gab es Kritik an Ihrer Darstellung des Dichters Jakob Stumm alias Wolfgang Hilbig, Vorwürfe in der Form, was Sie sich da überhaupt erlauben würden?

Ich hatte das befürchtet, aber ganz im Gegenteil. Ich bin sehr überrascht und natürlich auch erfreut, dass ich nur Zustimmung bekommen habe und niemand mit dem Vorwurf kommt, das sei Rache oder etwas Ähnliches.

Sie erzählen in „Nachtgeschwister“ die sehr offene und schonungslose Geschichte einer Frau, die sich in die Gedichte, in die Sprache des Schriftstellers Jakob Stumm verliebt, in dem sie einen Gleichgesinnten zu erkennen glaubt. Doch im alltäglichen Zusammenleben entpuppt sich dieser Schriftsteller als hilfloses Scheusal und regelrechtes Monster.

Mit derselben Offenheit und Schonungslosigkeit gehe ich aber auch mit meiner weiblichen Protagonistin um, also nicht gerade zimperlich. Und ich wollte Jakob Stumm nicht als Scheusal und Monster darstellen, sondern als sehr verlorenen und unglücklichen Menschen.

Aber er schlägt die Frau.

Da haben Sie recht. Aber er tut es aus Verzweiflung. Und es war von meiner Protagonistin natürlich naiv, zu glauben, dass Werk und Mensch identisch sind. Ein wesentliches Thema des Buches ist ja auch die Differenz zwischen Schriftsteller und Person. Ein guter Schriftsteller ist nicht zwangsläufig ein guter Mensch.

Ständig beschimpft Jakob Stumm die Frau, wenn sie ihn nur um eine Kleinigkeit bittet, als die „Vernichterin seiner Literatur“. Doch das Gegenteil ist der Fall. Als sie ihn endgültig verlässt, verfällt dieser Schriftsteller. Im Grunde war sie die Retterin seiner Kultur. Konnte oder wollte Jakob Stumm das nicht erkennen?

Ich glaube, er konnte das nicht erkennen. Ich schildere in „Nachtgeschwister“ einen Mann, der nicht aufwachen kann aus seiner Bewusstlosigkeit, aus einer kindlichen Naivität. Wenn er sich an einem Stein stößt, dann ist der Stein schuld. Er sucht für alles die Schuld in der Außenwelt. Und ich schildere einen Mann, der große Probleme mit Frauen hat und mit Verpflichtungsgefühlen ihnen gegenüber. An diesen Verpflichtungsgefühlen scheitert er, denn er braucht eine mütterliche Frau an seiner Seite, die ihm Halt gibt, damit er überhaupt existieren und somit arbeiten kann. Und so etwas führt natürlich zwangsläufig in tiefe Schuldgefühle. Auch das ist ein Thema des Buches. Die Schuld des Schreibens. Jakob Stumms Unmöglichkeit, Schreiben und Leben miteinander zu vereinbaren. Aus irgendeinem Grund waren das unversöhnliche Gegensätze für ihn.

In seinen Büchern zwar ein Meister, konnte der Schriftsteller Jakob Stumm im wahren Leben nur scheitern?

Ich glaube, dass alle größeren Künstler am Leben leiden. Aber da erzähle ich keine Neuigkeiten und darum habe ich auch nicht das Gefühl, dass in „Nachtgeschwister“ etwas enthüllt oder gar entlarvt wird. Wolfgang Hilbig hat sein Leben lang von nichts anderem geschrieben als von seiner Verzweiflung, das kann man in jedem seiner Bücher nachlesen.

Die fatale Beziehung, die Sie in „Nachtgeschwister“ zwischen der Ich-Erzählerin und Jakob Stumm beschreiben, ist weniger eine Liebes-, denn eine Leidensgeschichte. Obwohl die Frau weiß, wie schlecht es ihr geht, schafft sie es nicht, sich von Jakob Stumm zu lösen.

Sie kann einfach nicht die Hoffnung aufgeben, dass das Ich seiner Gedichte auch jenseits der Literatur existiert, im alltäglichen Leben. In diesem Ich hatte sie ja ihren Lebensmenschen gefunden. Und gleichzeitig ist sie selbst nicht sehr lebensstark und hat Angst davor, mit sich allein zu sein. Sie fühlt sich überall fremd. Eine beschädigte Person, die keinen Platz auf der Welt für sich finden kann.

Sie fühlt sich ausgestoßen wie Jakob Stumm?

Ja, das ist eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden, die eine starke Verbindung schafft. Ein bisschen können sie sich gegenseitig helfen, aber im Grunde potenziert sich das Dilemma durch ihr Zusammenleben. Sie sind einander nicht Halt, sondern zusätzliche Wüste.

Wann haben Sie begonnen, diese doch sehr persönliche Geschichte zu schreiben?

Ich habe insgesamt zehn Jahre an diesem Buch gearbeitet, aber mit Pausen. Die Zeit habe ich gebraucht, um Abstand zu den persönlichen Erfahrungen zu bekommen.

Also war „Nachtgeschwister“ für Sie auch eine Aufarbeitung der persönlichen Geschichte?

Das war es insofern, als ich in der Beziehung mit Wolfgang Hilbig meine Sprache verloren hatte und damit meine Existenzgrundlage. Das Wiederfinden der Sprache in diesem Buch war eine große Heilung. Aber die Verarbeitung der Geschichte selbst, die findet ganz woanders statt.

Eine wieder gefundene Sprache mit der Sie den Schriftsteller Jakob Stumm alias Wolfgang Hilbig nicht vorführen, sondern ihn als Menschen mit all seinen Fehlern und Abgründen zeigen wollten?

Ja, denn die Literatur ist dazu da, die Abgründe des Lebens so gründlich wie möglich zu erforschen. Ich zeige kein Monster, sondern einen zutiefst unglücklichen Menschen, der an sich selbst scheitert. Für mich ist das Buch auch eine Hommage an Wolfgang Hilbig.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Lesung morgen, 19 Uhr, auf dem Theaterschiff. Der Roman „Nachtgeschwister“ ist im Kunstmann Verlag München erschienen, er kostet 18,90 €.

Natascha Wodin, 1945 in Fürth geboren, ist Schriftstellerin und Übersetzerin aus dem Russischen.

Natascha Wodin arbeitete zunächst als gelernte Übersetzerin und Dolmetscherin. Seit den achtziger Jahren ist sie als freie Schriftstellerin tätig. Sie war von 1994 bis 2002 mit Wolfgang Hilbig verheiratet.

Für ihre Bücher, darunter „Die gläserne Stadt“ und „Einmal lebte ich“, ist sie mit dem Hermann-Hesse- Preis und dem Adalbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet worden. Natascha Wodin lebt in Berlin. kip

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