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Kultur: Kernig federnd

Hanno Müller-Brachmann und die Kammerakademie

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Es liegt auf der Hand, dass der Komponist Anton Webern vom „königlichen Thema“ aus dem „Musikalischem Opfer“ von Johann Sebastian Bach fasziniert sein musste. Was der Wiener Verfechter der Zwölfton-Musik aus dieser musikalischen Kopfgeburt gemacht hat, war beim siebten Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam am Samstag im Nikolaisaal zu hören. Das „thema regium“, über das der alte Bach bei seinem legendären Besuch in Sanssouci improvisierte, ist ein ziemlich sperriges Gebilde in acht Takten, zwar basierend auf einem Dreiklang in c-Moll, aber mit einer chromatisch absteigenden Tonleiter versehen, durch die die Tonalität praktisch aufgehoben wird. Auch die quasi serielle Verarbeitung dieses Motivs in Bachs sechsstimmiger Fuga ricercata mag dem synthetischen Denken des Neutöners Webern vertraut gewesen sein. Sein Arrangement splittet das königliche Thema in drei Teile auf, die nacheinander von einzelnen Instrumenten erklingen. Posaune, Horn und Trompete führen die Variationenreihe an, zu der sich Harfe, Trommel, Holzbläser und Streicher gesellen.

Die kammerakademischen Instrumentalisten spielen unter der Leitung von Antonello Manacorda überaus geschmeidig, mit nahtlosen Übergängen, was bei dem ziemlich flotten Tempo nicht einfach ist – perfekt ausbalancierter Schönklang, der die strukturelle Nähe der beiden Konstruktivisten Bach und Webern verdeutlicht. Erscheint die Kammerakademie schon hier um etliche Musiker aufgestockt, so erst recht bei den fünf Liedern von Gustav Mahler. Mit dem Sänger Hanno Müller-Brachmann stand ein Bassbariton zur Verfügung, dem sehr viel an der Verbindung von Wort und Musik gelegen ist. Seine von Dietrich Fischer-Dieskau geprägte deklamatorische Intensität kommt den Liedern nach Texten von Friedrich Rückert zugute, wenngleich einzelne Passagen, etwa in „Ich atmet einen linden Duft“, etwas zu stark betont wurden. Die ganze kernig federnde Kraft seiner klangvollen Stimme kommt erst in der dunkel schillernden Koloratur in der vierten Strophe von „Um Mitternacht“ zum Ausdruck. Mit dem ganz zurückhaltend, quasi abwesend vorgetragenen Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ beendet Hanno Müller-Brachmann seinen Auftritt vor einem begeistert applaudierenden Publikum. Ein Gutteil davon gebührt den bestechend subtilen Klangfarben der begleitenden Instrumente.

Geheimnisvoll beginnt Beethovens weniger bekannte Sinfonie Nr.4. Doch schnell wird das geisterhafte Säuseln der Streicher, das unheimliche Grummeln der Pauke mehrfach von „sforzato“-Schlägen im Orchester unterbrochen. Wenn hier Josef Haydn Pate stand, so schien das poetische Adagio mit lyrischem Verströmen und zartesten Verschleierungen schon Mendelssohnsche Klangwelten vorwegzunehmen. Ein stürmisch entrücktes Menuett, eigentlich ein Scherzo mit rhythmischen Spielchen zwischen Dreier- und Zweiertakt, führte die Beethovensche Experimentierlaune bravourös vor. Von Anfang an auf der Überholspur bewegt sich das Finale, Holzbläser wechseln mit gestochen scharfen Sechzehnteln der Streicher, erst kurz vor Schluss wird dieser turbulente Wirbel abgebremst. Dass hier nichts durcheinander gerät, sondern alles italienisch leicht à la Rossini schwingt, schimmert und sprüht, ist nicht zuletzt dem umsichtigen, klaren Dirigat von Antonello Manacorda zu verdanken. Es versteht sich von selber, dass die Musiker der Kammerakademie Potsdam an diesem Erfolg nicht den kleinsten Anteil haben. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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