Kultur: Klangklar und farbenreich
Orgelkonzert in der Nikolaikirche
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Manche Erscheinungen sind rational kaum erklärbar. Christi Himmelfahrt beispielsweise. Nachdem der Auferstandene vierzig Tage lang den Aposteln letzte Belehrungen erteilt hatte, „wurde er vor ihren Augen emporgehoben und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken“, steht in der Apostelgesichte 1,9 geschrieben. Fantasien durch den Genuss halluzinogener Drogen? Hatten gar Außerirdische ihre Hand im Spiel? Müßig, darüber zu spekulieren.
Beruhigend zu wissen, dass es die Musik gibt, die all das Unerklärliche gemütsbewegend zu beschreiben und auszudeuten vermag. Und so boten die Bachtage Potsdam am Tag von Christi Himmelfahrt ein Orgelkonzert in der Nikolaikirche, bei dem sich der thematische Blick vorzugsweise auf die Herniedersendung des Heiligen Geistes richtete. Wozu der gregorianische Pfingsthymnus „Veni creator spiritus“ (Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist) vielen Komponisten vom Barock bis in die Gegenwart die entsprechende Richtschnur lieferte. Für Nikolaikantor Björn O. Wiede war es daher ein Leichtes, ein stimmungsvolles Recital zu programmieren, das auf dem von der Osnabrücker Orgelbaumanufaktur Kreienbrink umgebauten und erweiterten Instrument aus der Werkstatt von Karl Schuke eine klangklare und farbenreiche Wiedergabe erfuhr.
An den Beginn hatte Björn O. Wiede passenderweise Bachs Toccata und Fuge F-Dur BWV 540 gestellt, die in ihrer formalen und geistigen Anlage deutlichen Bezug auf die religiöse Dreifaltigkeitsidee nimmt. Erhaben erklingt ein zweistimmiger Kanon über dem Orgelpunkt f, gefolgt von einem großen Pedalmonolog. Figurativ, im durchweg raschen Metrum schwingen sich die Klänge in die Höhe empor: virtuos, mit überschäumender Frische und gedanklicher Gelöstheit, festlich und erhaben von Anfang an. Die Disposition des Instruments lässt bei der Verwendung von Prinzipalstimmen diese fern jeglicher schärflichen Direktheit fast in mildem Licht leuchten. Die passende Einstimmung auf die nachfolgende Trias von Ausdeutungen des Pfingsthymnus‘.
Zunächst erklingt des Organisten „Veni creator“-Improvisation, aller Erdenschwere entschwebend und mit starkem Tremolo angereichert. Aus dem Kontrast von Pedalvolumen mit der registergezogenen Imitation der menschlichen Stimme und sanften hohen Lagen gewinnt sich die durchweg tonal schwelgende Partita „Komm, Heiliger Geist“ von Johannes Weyrauch (1907-1991) ihren strahlenden (Allegro maestoso), innigen (Andante cantabile) und quasi übersprudelnden (Choral) Gefühlsreichtum. Dass Letzterer im vollen Orgelwerk erklingt, versteht sich.
Kleingliedriges zeichnet dagegen die Partita von Flor Peeters (1903-1986) aus, von Wiede farbig registriert und bewegt gespielt, bis hin zu celestaartiger Fröhlichkeit. Da der Pfingsthymnus ein Kind des Mittelalters ist, hat sich Wiede mit Léon Boëllmann (1862-1897) und dessen „Suite gothique“ eines romantisch versierten Sachzeugen versichert. Erhaben, gebetsversunken, tänzerisch beschwingt und toccatabravourös ohne vordergründigen motorischen Drive erklingt sie. Den versagt sich auch Björn O. Wiede in seiner Tokkata in D, die eher einem fantasievollen Suchen nach virtuosen Läufen gleicht. Nach und nach hinzugezogene Register lassen das Opus kraftvoll anschwellen und gemütsbewegend ausklingen. Peter Buske
Peter Buske
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