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Kultur: Klangliche Köstlichkeiten in Babelsberg

Schön breit und gefühlvoll singen die Streicher ihr Adagio. Plötzlich fällt das Horn ziemlich unpassend dazwischen – als hätte es seinen Einsatz und die richtige Tonhöhe vergessen.

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Schön breit und gefühlvoll singen die Streicher ihr Adagio. Plötzlich fällt das Horn ziemlich unpassend dazwischen – als hätte es seinen Einsatz und die richtige Tonhöhe vergessen. Was natürlich nicht stimmt, schließlich hat man diese Stelle intensiv geprobt. Vielleicht nicht lange genug? Doch jene Unaufmerksamkeit kommt genau im richtigen Moment, ist sie doch von Joseph Haydn in seiner Sinfonie Nr. 60 „Il Distratto“ (Der Zerstreute) als Überraschung genau geplant. Weitere Scherze finden sich in fast allen Sätzen dieser suitenartigen Zusammenstellung für ein Theaterstück über einen Verwirrten, der im Presto einen Wutanfall bekommt. Etwa über unbotmäßiges Personal? Langsam lässt die Raserei nach. Hat er den Anlass, als Ausdruck eines beginnenden demenziellen Syndroms, vergessen? Nachdem er lange genug darüber lamentierte, stachelt sich der Zerstreute vorsichtshalber erneut in die Aufregung. Dann, im Prestissimo-Finale, klingen die Geigen plötzlich verstimmt. Hatten sie einen Blackout? Der Dirigent (Knut Andreas) klopft ab, lässt die Instrumente nachstimmen und „richtig“ weiterspielen.

Das Liebhaber-Sinfonieorchester Collegium musicum Potsdam ist in der Babelsberger Friedrichskirche mit Eifer bei der Sache, geht engagiert zu Werke, vertraut auf die präzise Schlagtechnik seines dirigentischen „Trainingsmeisters“. Hier beim Haydn sind abrupte Stimmungswechsel gefragt, geht Kraftvolles in Verschmitztes über, kontrastiert Derbes mit Innigem. Dabei darf das Ohr an die Saitenreinheit (vor allem der Geigen) nicht die allerhöchsten Maßstäbe anlegen. Wie von der Leine gelassen zeigen sich die Musiker dann bei den Späßen des „Scaramouche“, einer klangköstlichen Suite für Saxofon und Orchester aus der Feder des Franzosen Darius Milhaud (1892-1974). Wie ein Perpetuum mobile quirlen die Spitzbübereien des Titelhelden, Clownsfigur der Commedia dell“arte, durch alle drei, reich synkopierte und jazzbeeinflusste Sätze. Einen adäquaten Stellvertreter findet er nm „Keimzeit“-Saxofonist Ralf Benschu, der sich verschmitzt und pfiffig durch den überaus virtuosen und anspruchsvollen Solopart swingt. Fürs „Modéré“ bläst er anhaltend einen atemfressenden Romanzenton, in den viel Gefühl und die gewisse Traurigkeit eines Clowns einfließen. In der „Brasileira“ zünden Solist wie Orchester ein rhythmisches Feuerwerk. Der Beifall nimmt südländisches Format an und wird mit einer elegischen Ballade bedankt, die sich als dezent jazzimprovisierte Bearbeitung des Kirchenliedes „Du hast uns Herr, gerufen“, bei dem sich die Solostimme über einem Streicherostinato erhebt, gewaltig an- und schnell wieder abschwellend.

Zur „Abrundung“ menschlicher Temperamente führt sich abschließend der massenmörderische Westernheld „Billy the Kid“ in Gestalt einer Orchestersuite von Aaron Copland (1900-1990) vor. Ein sehnsuchtsvolles Motiv kündet von der Weite der Prärie und dient als Klammer für die Abenteuer im Wilden Westen. Entsprechend kraftvoll und direkt, bisweilen lärmend werden sie musiziert. Turbulentes Treiben bestimmt die „Straße in einer Grenzstadt“, in der ein „Mexikanischer Tanz“ am rechten Orte ist. Facettenreich klingt die „Nacht in der Prärie“; Pauken, Xylophon, große und kleine Trommel sorgen für eine effektvolle „Schießerei“. Klangschön und plastisch wird anschließend gestorben („Billy“s Death“), mit Pomp und krachledernder Fröhlichkeit das Ende des Pistolenhelden gefeiert. Dessen Wiedergabehelfer nicht weniger.

Peter Buske

Peter Buske

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