Kultur: Klangoffenbarungen wie aus einem Guss
Vocalise 2005 mit Bachs h-Moll-Messe eröffnet
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Vocalise 2005 mit Bachs h-Moll-Messe eröffnet Der Zweck heiligt ihm die Mittel. „Ew. Königlichen Hoheit überreiche ich in tieffster Devotion gegenwärthige geringe Arbeit von derjenigen Wißenschaft, welche ich in der Musique erlangt habe“, schreibt Johann Sebastian Bach an den sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. anno 1733. Dem Brief fügt er Kyrie und Gloria einer katholischen Messe bei, die er aus früheren Kantatensätzen zusammengestellt hat. Damit bewirbt er sich bei Hofe. Majestät möge ihm „ein Praedicat von Dero Hoff-Capelle conferiren“ nebst „Ertheilung eines Decrets“ geben. Er kann es brauchen, der Leipziger Thomaskantor, denn sein Verhältnis zum Leipziger Rat ist sehr angespannt. Drei Jahre später wird er zum kurfürstlich-sächsischen Hofkomponisten ernannt. Gegen Ende seines Lebens vervollständigt Bach die vorhandenen Sätze um die für eine „richtige“ Missa noch fehlenden. Die h-Moll-Messe ist komplett. In der Liturgie jedoch findet sie wegen ihres Ausdrucks höchsten musikalisch-geistigen Schöpfertums keine Verwendung. Zu Repräsentationszwecken eignet sie sich dagegen sehr. Wie jetzt zur festlichen Eröffnung der 5. Potsdamer Vokalwochen „Vocalise 2005“. Die Erlöserkirche ist gut gefüllt, als unter Leitung von Ud Joffe der Neue Kammerchor und das Neue Kammerorchester Potsdam die h-Moll-Offenbarung zu Gehör bringen. An Ausführende wie Hörer sind höchste Ansprüche gestellt, die Erhabenheit und Eindringlichkeit der vierundzwanzig Musikstücke zu verbreiten bzw. aufzunehmen. Es gelingt vorzüglich. Schon wie die erste Silbe der einleitenden Kyrie-Anrufung gestaltet ist, das verheißt eine Wiedergabe voller Klarheit, Präzision und Intensität. Die Erwartungen werden im Verlauf des zweistündigen Abends nicht enttäuscht. Das folgende Zwischenspiel wird vom Orchester bei aller Annäherung an eine historisierende Spielweise sehr modern und vollmundig musiziert. Joffes elegante Zeichengebung, die sich wie von selbst auf ein sinnerfülltes, plastisches, zu Herzen gehendes, hellwaches Musizieren und Singen überträgt, lässt – fern aller akademischen Tüfteleien oder romantisch verschwommener Seelenergießungen – eine packende, lebendige, glanzvolle, leicht und durchsichtig gehaltene Lesart des Werkes entstehen. Des Chores zuvor absolvierten acht Israelkonzerte zeitigen Folgen: Er ist mit dem Werk zum Lobe Gottes innigst vertraut. Was sich durch intonationsreines, dynamisch fein abgestuftes, lebendiges, geschmeidiges und homogenes Singen nebst einer souveränen Gestaltung von fast professioneller Perfektion beweist. Ermüdungserscheinungen kennt er nicht. Die Freudengesänge beispielsweise des „Et resurrexit“ aus dem Credo-Teil erreichen ekstatische Ausmaße. Nirgends die Spur von Sentimentalität, dafür Klarheit und Lebendigkeit pur. An der tempoausgewogenen, wie aus einem Guss gelungenen Aufführung haben das Continuo mit Truhenorgel und Kontrabass, Solisten des Neuen Kammerorchesters (Violine, Flöte, Oboe, Trompete, Pauken) sowie ein perfekt aufeinander abgestimmtes Solistenquartett erheblichen Anteil. Lieblich und mühelos strömt der Sopran von Mojca Erdmann, leuchtend und voll des lyrischen Empfindens wie sie''s in der „Laudamus te“-Arie vorführt. Ihr Timbre klingt bestens mit dem der Altistin Regina Jakobi zusammen, wovon die Duette „Christe eleison“ und „Et in unum Dominum“ künden. Schlicht, „mütterlich“ und gefühlvoll singt sie die Arien „Qui sedes“ und „Agnus Dei“. Ganz auf schöne Legatolinie setzt auch Marcus Ullmann, der seinen hellen und offenen, leicht geführten Tenor voller Innerlichkeit ertönen lässt. Der kurzfristig eingesprungene Bariton Mario Hoff trägt kraftvoll und mit markanter Stimme das „Quoniam tu solus sanctus“ vor, dem sich nahtlos der geradewegs feurig angestimmte Chor „Cum sancto spiritu“ anschließt. Was für eine vorzügliche Dramaturgie! Nach dem feierlich angestimmten Schluss-Chor „Dona nobis pacem“ herrscht ergriffenes Schweigen. Ihm folgt ausufernder Dankesjubel. Peter Buske
Peter Buske
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