Kultur: Klangsatt
Das Quartetto Prometeo im Palmensaal
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Bei allem nostalgischen Charme: Venedig hat auch eine moderne Seite. Die Biennale Musica für zeitgenössische Klangkunst kündet seit 78 (!) Jahren davon. Nichts gegen Cavalli, Gabrieli und Vivaldi, denen sich die Musikfestspiele so überreich widmen, doch auch die Avantgardisten haben die ihnen gebührende Aufmerksamkeit verdient. Und so setzte sich das Quartetto Prometeo im Palmensaal im Neuen Garten für sie und ihre Kompositionen ein. Ungestüm und klanglich sehr direkt gehen die Musiker eingangs das 1920 geschriebene Quartetto Nr. 1 „Rispetti e strambotti“ von Gian Francesco Malipiero an, das sich alsbald als eine kaleidoskopartige Abfolge von Episoden entpuppt. Bei allen Aufgeregtheiten kann und will das Stück das Singen nicht verleugnen. Ein Eindruck, der sich auch bei den folgenden, von Venedig inspirierten Quartetti gewinnen lässt.
Das Ensemble bevorzugt dabei durchweg einen prägnanten, sehr straffen, voluminösen und klangsatten Ton. Man spielt mit vollem körperlichem Einsatz, gleichsam volles Risiko. Doch der Einsatz lohnt sich. Das Spiel der Vier lässt die musikalischen Gedanken und ihre Strukturen deutlich hervortreten, wirkt nie distanziert, zieht den Hörer unaufhaltsam in den Sog der Geschehnisse.
Nicht weniger mit Energie aufgeladen wird das 4. Streichquartett „Mas lugares“ von Neutöner Stefano Scodanibbio, der die Polyphonie eines Monteverdi in heutige Musiksprache übersetzt. Es sind Klangerfindungen, die sich entweder robust ins Ohr drängen oder sich ihm renaissancezart einschmeicheln. Gegen Ende breitet sich Klagendes aus, was man sogleich als Adaption des Monteverdischen Lamento dArianna erkennt.
Den Eindruck, dass alle Stücke das Atmosphärische, die Lichtreflexionen auf dem Wasser, den langsamen Verfall, kurzum: das eigentlich unbeschreibliche Flair der Lagunenstadt einfangen, erhält man auch beim 1. Streichquartett Bruno Madernas. Im Spannungsfeld von Erregung, sinnfragender Nachdenklichkeit, freundlichem Abschiedsgesang vom Leben und der Stadt steht Benjamin Brittens 3., in Venedig vollendetes Streichquartett op. 74, das von den Musikern ausdrucksstark gespielt wird. Geradezu beklemmend zwingen sie die vom todkranken Komponisten beschworene Lebensfreude herbei, geben sich unter ihrem Primarius Marco Fiorini, der das „Very calm“-Solo tatsächlich still und friedlich spielt, geradezu hemmungslos der feurigen Burleske hin. Ein Abend der großen, avantgardistischen Gefühle. Peter Buske
Peter Buske
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