Kultur: Klangsubtil
Neues Kammerorchester trifft Bartok
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„Beachtet nur aufmerksam das singende Dorfmädchen, den einfachen Weinleser“, fordert der ungarische Dichter Mihály Vitéz von seinen Künstlerkollegen. Ein reichliches Jahrhundert später folgen die Komponisten und Musikethnologen Béla Bartók und Zoltán Kodály dieser Aufforderung, gehen mit Phonographen und Notenpapier in die Dörfer. Sie zeichnen akribisch auf, was Volkes Stimme verschiedenster Regionen in Liedern und Tänzen überliefert hat. Da findet sich keine „Joi, Mama, Bruderherz“-Sentimentalität, kein Puszta-Schmachten oder sonstiger Folklorekitsch. Stattdessen geht es ursprünglich in dem Aufgespürten zu. Manches davon hat vor allem Béla Bartók in Kunstmusik verwandelt und in seine Werke einfließen lassen.
Von beiden Seiten seines Schaffens erzählte der Saisonstart für die diesjährige Europarundreise des Neuen Kammerorchesters am Donnerstag in der Erlöserkirche. Leider ist die Spielstätte nicht sonderlich gut besucht. Liegt es an der ausschließlichen Begegnung mit Béla Bartók, dessen Werke sich im hiesigen Repertoirebetrieb noch nie so recht heimisch fühlen konnten?!
Reiseleiter Ud Joffe sucht das Interesse am Komponisten durch eine interessante Werkzusammenstellung zu befördern, indem er Bartók als einen repräsentativen Tonsetzer seines Landes vorstellt. Verarbeitete Volksweisen finden sich im „Divertimento für Streicher“ (1939) die Fülle. Rhythmisch stampfend, dann wieder wiegend in eleganten Reigenschwung geht es da zu, von Passagen der Solovioline (Wolfgang Hasleder) folkloristisch eingefärbt. Zwischen die vitalen Ecksätze ist ein „Molto adagio“-Satz gestellt, dessen elegischer Gestus kommendes Unheil erahnen lässt. Er gleicht einem Abschiedsgesang von Europa, das er ein Jahr später in Richtung USA verlässt. Manche tonale Wendung erinnert dabei an verträumte Erinnerungen in der „Leningrader“ oder – in ihrer Hoffnungslosigkeit – an die 8. Sinfonie von Schostakowitsch. Das eine wie das andere wird von den Musikern mit viel Gespür für die herbe Tonsprache Bartóks gespielt: sehr transparent, hell und klar, pointiert, mit einem Hang zum Spröden.
Spannend wie das Leben, also traurig, heiter, vital und liebestoll, führt sich die „Suite paysanne hongroise“ vor. Diese Klaviersammlung von fünfzehn ungarischen Bauernliedern hat später Paul Arma für Flöte und Orchester arrangiert. Allesamt sind es kurze Piecen, die vom Orchester und der Solistin Gili Schwarzman außerordentlich klangsubtil musiziert werden. Mit ihren ansatzweich geblasenen, gefällig eingebetteten Flötentönen voller lyrischer Leuchtkraft weiß sie zu begeistern. Kurz und kurzweilig hören sich auch „Rumänische Volkstänze“ an, die im voluminösen Streichersound ertönen. Soli von Geige und Klarinette (Hanno Pilz) setzen manchem schmachtenden Liebes- oder vitalen Stampftanz funkelnde Glanzlichter auf.
Eines der wichtigsten Werke Bartóks, seine „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ bildet den Abschluss des begeistert gefeierten monothematischen Konzerts. In strenger, präzise vorgeführter Fugenform beginnt, was sich allmählich Energie und Lautstärke gewinnt. Herb klingt es auch später, selbst wenn unvermittelt Heiterkeit hereinbricht. Fern von Zigeunerprimasschluchzen sorgen Synkopierungen, Paukenglissandi und raffinierte Taktwechsel für Geheimnisvolles, vielfarbig Schillerndes, eine nie abreißende innere Spannung. Im Rhythmustaumel, allerdings mit retardierenden Momenten, endet die reizvolle Bartók-Begegnung.Peter Buske
Peter Buske
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