Kultur: Klangvariationen des Klagens
Dritte Station der „Dornenzeit“ in der Friedenskirche Sanssouci
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Nichts gesehen, nicht gehört: ich wasche meine Hände in Unschuld. Kaum ein Bibelzitat wird häufiger gebraucht als jenes, mit dem der römische Statthalter Pontius Pilatus jegliche Verantwortung für die Verurteilung Jesu von sich weist. Aus Machtfülle heraus hätte er die vom aufgestachelten Volk geforderte Kreuzigung Jesu verhindern können. Er tat es nicht. Fürchtete er doch den Aufstand der Menge und den Zorn Roms, würde er anders entscheiden. Also wusch er seine Hände in Unschuld, schob die Verantwortung an Jesu Mord dem Volk zu. Die Hohenpriester und Ältesten frohlockten darob: sie hatten ganze Demagogenarbeit geleistet und ihr Ziel erreicht!
Mit dieser Begegnung „Jesus vor Pilatus“ beschäftigte sich die dritte Station der „Dornenzeit“ in der Friedenskirche, die sich erneut als eine gedankenvolle und assoziationsreiche Mischung aus meditativer Musik, Bibelwort und zeitgenössischem Kommentar erwies. Für die Klänge war allein das Violoncello zuständig, höchst eindrucksvoll gespielt von Karin Liersch. Sie ließ Zeitgenössisches entstehen, das sich durch keinerlei moderne Kompositionstechniken einengen ließ, sondern vom Herzen kommend wieder zum Herzen ging. In ihrem klagenden Gestus offenbarte sich dennoch eine Fülle von erstaunlichen Zwischenfarben und Nuancierungen.
Zur Einstimmung gab es eingangs den Monolog „Deus, misereatur nostri“ von Günther Kretzschmar (1929-1966), ausdrucksstark von Karin Liersch gestrichen. Man vernahm eine seelentröstliche Melodie, die sich trotz zeitweiliger großer Intervallabstände ihre kantable Linie suchte. Ihr folgte in kantiger und knapper, gleichsam archaischer Sprache der von Klaus Büstrin schlicht, fast nüchtern, aber nicht unbeteiligt vorgetragene Text „Christus, der uns selig macht“ von Egidio von Colonna/Michael Weiße, eine Kurzfassung des Passionsgeschehens. Danach erklang das von dramatischen Passagen durchzogene „Moderato“ von Helmut Degen (1911-1995), das im steten Wechsel von hohen und tiefen Lagen zu spielen war und immer wieder zum Legatosingen zurückfand.
Das anschließende „Allegro“ von Holmer Becker (geb. 1955) ließe sich ob seines zerrissenen, suchenden, sich windenden Gestus“ durchaus als ein Charakterporträt von Pilatus denken, denn nun stand das Geschehen vorm römischen Statthalter im Mittelpunkt. Den entsprechenden Versen aus dem Matthäusevangelium folgten zum einen die zeitbezügliche Ausdeutungen der Hannoveraner Bischöfin Margot Käßmann über „Freiheit und Verantwortung“ eines heutigen Politikers, der sich aus Entscheidungsfragen heraushalten will, plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommt. Was, so fragt Käßmann, wenn er Jesu begnadigt hätte?! Wie aktuell die Bibel doch sein kann! Zum anderen kommentierte Eugen Drewermann den Traum von Pilatus“ Frau und die Folgen, wenn der Gatte ihn befolgt hätte. Nicht weniger beachtlich der Ko-Text „Späte Aufzeichnungen des Simon von Kyrene“ von Christina Busta, in der es um Judas Ende geht.
Holmer Beckers seufzerreiches, an barocker Affektenpraxis orientiertes „Andante“ und sein trauriges, an Bachscher Strenge geschultes „Adagio“ erwiesen sich als tonale Ergänzungen zu den Texten. Die emotionsdichte Programmfolge erfuhr ihre Kulmination durch die siebenteiligen „Kreuzwegstationen“ von Matthias Trommer auf kurze, allgemeingültige, philosophisch geprägte Texte von Manfred Domrös. Hier ergänzten sich Musik und Wort zu außergewöhnlichen Variationen des Klagens.Peter Buske
Nächste „Dornenzeit“: 2. März, 17 Uhr, Friedenskirche mit Susanne Behrens, Sopran, Matthias Jacob, Orgel, Markus Schütte, Lesung.
Peter Buske
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