Kultur: Klangvisionen
Thomas Lacôte beim Orgelsommer
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Einmal Potsdam-Paris und zurück. Wie lange die Reise dauert? Ungefähr 75 Minuten – wenn man sich denn dem französischen Organisten Thomas Lacôte anvertraute, der am Mittwoch beim vorletzten Orgelsommerkonzert zu dieser Städtetour in die Friedenskirche eingeladen hatte. Zum Reisestart lässt er das Ricercare a 6 aus Joh. Seb. Bachs „Musikalischem Opfer“ auf der bestens disponierten Woehl-Orgel erklingen. Gleichsam als Potsdamer Aperitif, destilliert aus einem königlichen Thema und mannigfaltig verwandelt. In diesem Fall als sechsstimme Fuge. Mit seinem analytischen Sachverstand und Meisterspiel breitet Thomas Lacôte die polyphonen Strukturen und kunstvollen Verschachtelungen überaus klar, streng und überschaubar aus. Die Schärfe der Prinzipale ergibt mit den kräftigen Pedalstimmen eine überzeugende Klangmischung. Ausgewogen in den Zeitmaßen und energisch vorgetragen, folgt man der Exegese des Organisten mit innerer Gespanntheit. Wird sie auch in Paris die Erwartungen einlösen?
Im Falle von Olivier Messiaens Auszügen aus „Les Corps glorieux“ (Sieben Visionen aus dem Leben der Auferstandenen) auf jeden Fall. Der Komponist entstammt einer Intellektuellenfamilie, die dem Glauben fernstand. Die Mutter eröffnete ihm jedoch die Wunderwelt der Märchen und damit die des Glaubens. Was dazu führt, dass Messiaen zweifellos zum bedeutendsten religiösen Tonsetzer des 20. Jahrhunderts wird. Seiner faszinierenden Klangfarbenmalereien wegen nennt man ihn auch den Chagall der Orgelmusik. Was wiederum Thomas Lacôte faszinierte, der sich intensiv mit dem Werk des Avantgardisten beschäftigt und darüber publiziert. Seit vergangenem Jahr ist er zudem einer der Messiaen-Nachfolger als Titularorganist an der Trinité-Kirche in Paris und bringt von dort die entsprechenden Klangvorstellungen mit. „Das Leben der Auferstandenen ist frei, rein, leuchtend, farbig“, so der Komponist über sein 1939 entstandenes Werk „Die Klangfarben der Orgel spiegeln diese Eigenschaften wider“. Was sie unter den sachkundig registrierenden Händen und Füßen des Organisten tun.
Einfache Tonfolgen ständig hin und her springender Intervalle, dazu ein leichtes Tremolo, verschaffen der Vision über „Die Zartheit der verklärten Leiber“ eine ätherische, dennoch kraftvolle Wirkung. Gläsern, sanft wellend und sich eindunkelnd fließen „Die Wasser der Gnade“ dahin. Bei aller satztechnischen Schlichtheit wirken sie nie eintönig. Dramatisch bewegt geht es im Zentrum des „Corps glorieux“-Zyklus zu, wenn „Der Kampf des Todes mit dem Leben“ stattfindet. Klangbrutal tritt der Sensenmann in tiefsten und angsteinflößenden Pedalregistern wie Untersatz, Posaune und Trompete auf. Überaus plastisch mit aufgeregten Clustergebilden, bedrohlichen Akkordblöcken und Toccata-Drive vollzieht sich das Ringen um die Seele. Ihm folgt eine leise und lange Meditation, in der auch Flötenstimmen für ätherisches Schweben, sanftmütiges Sinnen und Sehren sorgen. „Kraft und Behendigkeit“, dann „Freude und Glanz der verklärten Leiber“ werden mit ähnlich sinnfälligen Visionen vorgestellt. Virtuell wieder in Potsdam angekommen, entlässt Thomas Lacôte die Hörer mit seiner messiaenesken Improvisation über das königliche „Opfer“-Thema. Das Ratespiel, wo es denn versteckt sein könnte, lässt einige ratlos zurück. Der finalen romantischen Verklärung folgt reicher Beifall und eine klangprächtige Bach-Zugabe. Peter Buske
Peter Buske
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