zum Hauptinhalt

Kultur: Klar – Ostfrau! Martina Rellins Buch

„aus dem richtigen Leben“

Stand:

„aus dem richtigen Leben“ „Ich kämpfe auch, wenn es sein muss“, sagt die 34-jährige Öko-Bäuerin Conny. Sie war zur Wendezeit Kinderdiakonin. „Vielleicht wäre ich das ohne Wende immer noch. Aber die Wende hat diese Veränderung, meine Arche Noah, mit sich gebracht.“ Als 1996 ihr zweites Kind kam, hängte sie ihren Beruf an den Nagel. Die Arbeit mit geistig behinderten Kindern im Drei-Schicht-System war nicht mehr zu machen, ohne die Familie zu vernachlässigen. Fortan wurde der Bio-Bauernhof ihre neue Herausforderung – und auch Kampffeld gegen den alten Geist eingefleischter Bauern. Conny ist eine von 14 Frauen, die in Martina Rellins Buch zu Worte kommen und das die Autorin heute um 19 Uhr in der Stadt- und Landesbibliothek vorstellt. „Klar bin ich eine Ost-Frau!“ hat Rellin ihren viel diskutierten Bestseller genannt und postulierte damit das Selbstbewusstsein der Porträtierten. Häufig zitierte Floskeln wie „Der Osten jammert“ und „Ost-Frauen sind die Verlierer der Einheit“ wollte Martina Rellin mit ganz anders gelagerten Biografien widerlegen. „Die wirklich Tatkräftigen in diesem Lande, die Aktiven, die neue Ideen ausprobieren, experimentierfreudig und risikobereit tun, was sie für richtig halten – das sind Frauen, und zwar meist aus dem Osten“, schreibt die Autorin. Nun hat sie zwar keine Westfrauen als Vergleich in ihr Buch aufgenommen, doch die von ihr interviewten Gesprächspartnerinnen sind eben durchweg Macherinnen. Das beginnt mit Jutta Deutschland, einst Primaballerina an der Komischen Oper, die längst ihre Spitzenschuhe an den Nagel hängte: Sie verließ das Glashaus, um in den Alltag und ins Mutterdasein einzutauchen. „Wenn es die Wende nicht gegeben hätte, dann wäre ich vielleicht Ballettmeisterin oder Choreografin geworden.“ Doch 1997 verließ sie die Oper, obwohl sie einen lebenslangen Vertrag mit sehr gutem Gehalt hatte. „Aber Geld ist kein Grund zu bleiben, oder?“ Der Star ging und versuchte sich als Pädagogin. Es blieb ein Versuch. „Nicht jede gute Tänzerin ist auch eine gute Pädagogin“. Inzwischen hat sie eine Agentur gegründet, gestaltet Ereignisse. Die Primaballerina geht Klinkenputzen – und mag dieses „Tippeltappel“ . „Du kümmerst dich um mögliche Kunden, lernst sie kennen, sprichst mit ihnen, dieser ganze Vorgang ist spannender als die Arbeit auf der Bühne Man ist selbst verantwortlich.“ Die Kulturmanagerin Hanne hat ihre Nachwendeerfahrung in Baden-Württemberg gemacht – und immer wieder Unterschiede gespürt. „Es überrascht mich, dass so viel junge Frauen im Westen wirklich im Kopf haben: Freund, dann Kind, zu Hause bleiben – schließlich ist die Frauenbewegung doch im Westen losgegangen, sie war doch auch stark, aber sie scheint nur einen Teil der Bevölkerung erwischt zu haben. Ich höre immer wieder: Wer als Frau vorhat, sein Kind mit drei Jahren in den Kindergarten zu geben und wieder arbeiten zu gehen, der gilt als Rabenmutter.“ Auch mit West-Männern habe sie erschreckende Erfahrungen gemacht. „Der Mann, in den ich letztes Jahr schwer verliebt war, der hatte ein Problem damit, dass ich immer gesagt habe, was ich will.“ Martina Rellin ließ Frauen aus dem Osten so zu Worte kommen, wie sie sie selbst erlebte: „selbstbewusst und tatkräftig. Das Bild, das gerade in den überregionalen Medien vom Osten insgesamt gezeichnet wird, ist mir schon zu lange zu einseitig, es ist nämlich trist, traurig und düster“, so die einstige Chefredakteurin der Zeitschrift „Das Magazin“. H. Jäger

H. Jäger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })