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Kultur: Klasse statt Masse

Kantaten und Concerti im Großen Waisenhaus

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Für eine perfekte Intonation tun sie alles, die Vertreter der historisierenden Aufführungspraxis. Vor allem die Streicher mit ihren darmsaitenbespannten Instrumenten, die auf kleinste Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen allergisch reagieren. Besonders, wenn wie im Friedenssaal des ehemaligen Großen Militärwaisenhauses, einst Potsdams einziger Musikausbildungsstätte, sich viele Kenner und Liebhaber der Alte-Musik-Szene versammelt haben. Diesem Ritual des ausführlichen Ein- und Nachstimmens wohnt man gern bei, verspricht es doch dem Bachtage-Programm mit Kantaten und Concerti von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach die klangliche Perfektion. Da die Instrumentalisten von „Exxential Bach“ überdies über exzellente Meisterschaft im Gestalten barocker Klänge verfügen, kommen hinreißende Interpretationen zustande. Getreu der Devise: Klasse statt Masse.

Würde es dabei gelingen, dem d-Moll-Konzert für zwei Violinen und Streicher BWV 1043 all seinen konzertierenden Charme zu entlocken, wenn zur Begleitung nur ein Streichquintett und Continuo-Cembalo (Björn O. Wiede) zur Verfügung steht? Erstaunlicherweise wird in Concerto-grosso-Manier musiziert, wobei sich die Solisten Elfa Rún Kristinsdóttir und Wolfgang Hasleder als primae inter pares weitgehend dem Tutti einfügen. Man reicht das Concerto als kammermusikalische Delikatesse dar, zur „Vergnügten Ruh, beliebten Seelenlust“, wie sich der Abend nennt.

Schlank, flexibel, frisch und lebendig tönt es, wodurch sich die kontrapunktischen Strukturen, ihre Verwebungen und Verstrickungen vorzüglich nachvollziehen lassen. Natürlich wird vibratolos gestrichen, was zu schlackefreien, jedoch auch schärflichen Klängen führt. Die überaus rasch genommenen Ecksätze lassen weder einen barocken Zopf noch romantische Anmutungen aufkommen. Stattdessen führen kristallklare Linien zum Ziel. Allerdings verströmt dadurch das Largo den Charme einer mathematischen Gleichung.

Solches analytische Klangideal prägt auch die Wiedergabe des F-Dur-Cembalokonzertes von Carl Philipp Emanuel B. durch Björn O. Wiede. Leidenschaftlich sein Zugriff auf den mit perlenden Skalen, virtuosen Läufen und Trillerketten reich verzierten Tastenpart. Väterliche Spuren bleiben unüberhörbar. Die Hitzewallungen des instrumentalen Backgrounds finden im filigran gespielten Solopart, instrumentenbaulich bedingt, keinen Widerhall. Da wird des Komponisten spätere Hinwendung zum ausdrucksintensiveren Hammerklavier mehr als verständlich.

„Bekennen will ich seinen Namen“ so der Titel einer Aria von Johann Sebastian B., die der britische Altus Alex Potter mit seiner warm getönten, instrumental geführten Stimme schlicht gestaltend vorträgt. Begleitet wird er von Violinen (Micaela Storch, Christoph Timpe), Violoncello (Kathrin Sutor) und Cembalo. Zu ihnen gesellen sich später noch Violonbass (Sarah Perl), Beatrix Hellhammer (Viola) und die beiden Geigensolisten, um dem Altus die adäquate Unterstützung bei der Solokantate „Vergnügte Ruh “ BWV 170 zu geben. Affektgeladen und dissonanzenreich hört sich an, wenn von der Verteufelung der Höllensünden und des Lobpreisens der Himmelseintracht die Rede geht. Überraschend, wie tänzerisch beschwingt das Sündengrauen beschrieben wird. Auch da bleibt Axel Potter beneidenswert textverständlich. Er wird ausgiebig gedankt. Peter Buske

Peter Buske

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