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Kultur: Kleist springt im Dreieck

„Die Fälle des Herrn von K.“ des Polski Teatr Tanca im neuen Hans Otto Theater

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Keine zwei Wochen ist der furiose Start des neuen Theaterhauses am Tiefen See nun her, da bekam man bei einem Gastspiel der polnischen Compagnie Polski Teatr Tanca aus Poznan eine Vorahnung darauf, wie die Zukunft des Hauses unter unglücklichen Umständen aussehen könnte. Halbleere Ränge vor einer Aufführung, die in ihrer experimentellen, zuweilen bizarren Note nicht ohne thematische Vertiefung in das Auftaktprogramm gehievt gehörte. Warum „Die Fälle des Herrn K.“ nicht auf den Brettern der Tanzfabrik gleich nebenan gezeigt wurde, ist nur eines der Rätsel des Abends. Zumal das Stück im letzten Jahr, als Auftragsarbeit für die Kleisttage in Frankfurt/Oder, zusammen mit der Fabrik-Produktion „Do you want to die with me“ gezeigt wurde.

Kein Buchstabe des Alphabets ist wohl in der Literatur so eindeutig besetzt wie das K. Franz Kafka hat K. in die Maschinerie der Moderne geschickt und damit einen Prototypen erschaffen. Wenn die Regisseurin Ewa Wycichowska dem Protagonisten ihres Stückes, dem Dramatiker, Publizisten und Schriftsteller Heinrich von Kleist, nun auch auf diese Initiale verkürzt, ist zu vermuten, dass sie eine Verbindung herstellen, eine Allgemeingültigkeit erzeugen möchte. Dieser Kleist ist ein Hüne von Mann. Janusz Stolarski, schlank und drahtig, mit schulterlangem, zunehmend verschwitztem Haar unwillkürlich an eine Heilandsfigur erinnernd, spielt den aufgewühlten Dichter inmitten einer Reihe von Frauen. Er tanzt sich – einzeln jeweils – ab an seinen Schwestern Marie und seiner Lieblingsschwester Ulrike, seiner Verlobten Wilhelmine und auch an Henriette. Jener Henriette Vogel mit der er sich 1811 am Wannsee, unweit von Potsdam erschoss.

Die Bühne ist dabei von einem auf den Boden geworfenen gleichschenkligen Dreieck aus Licht in einen Außen- und einen Innenbereich gegliedert. Über den Köpfen der Tänzerschar baumelt, wie ein Raumschiff, ein ebensolches Dreieck von der Decke. Ab und zu wird es schwankend an eine Ecke heruntergelassen. Der tanzende und Brief-Zitate deklamierende Kleist kommt aus dieser hellen Dreifaltigkeit nicht heraus.

„Hänschen klein, ging allein, in die weite Welt hinein“ singt der Geprüfte, während er sich mit einer der anmutigen Tänzerinnen beschäftigt. Eines der großen Kleistworte? Andere Zitate, der besseren Verständlichkeit gleich auf eine Videowand projiziert, über die Zweifelhaftigkeit einer Wahrheit, aus seinem Abschiedsbrief an Ulrike oder über die von Kleist den Ehefrauen zugedachten Rolle werden ab und zu deklamiert.

Einige der getanzten Figuren sind tatsächlich anmutig: wie Stolarski an den imaginären Strippen der Marionette Wilhelmine zieht, und diese seinen Bewegungen folgt. Oder wie Luise oder Magdalena oder wer auch immer im liebesroten Kleidchen auf ihm zu schweben scheint. Wäre da nicht diese zerrüttende Musik, die unaufhörlich synthetisch an den Nerven sägt.

Ob der blecherne Ton, den man aus billigen Küchenradios kennt, so gewollt war, ist eine Frage, die nur von der Haustechnik beantwortet werden könnte. Permanente Tropf- und Eisregengeräusche, wenn es dramatisch werden sollte, ein Ton, wie er vom feuchten, über einen Glasrand laufenden Finger erzeugt wird. Als ob die Musik rückwärts eingespielt würde.

Dieser Kleist ist ein maßlos verzerrter. Mit ungestümer Leidenschaftlich, für die Stolarski verdiente Bravos einheimst, doch hier einzig den Frauen entgegen gebracht. Nicht der Literatur. Hierüber jedoch, sollte man glauben, haben sich die eigentlichen Kämpfe im Dichter ausgetragen.

„Die Fälle des Herrn von K.“ degradiert so einen der größten deutschen Dramatiker für eine modernistische, sich in Allgemeinaussagen verlierende Inszenierung zum reinen Stichwortgeber.

Matthias Hassenpflug

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